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Die wechselvolle Geschichte des Hauses

Unmittelbar außerhalb der alten Stadtbefestigung mit Wall und Stadtgraben, in einer Gegend, wo noch bis Mitte des 19.Jahrhunderts die Städter ihre Gärten hatte, befinden sich gut fünf Minuten vom Bahnhof und drei Minuten vom Marktplatz entfernt die Gebäude der Goethestraße 1.

Seit 2001 nutzt das junge Internationale Kultur- und Wohnprojekt die wie maßgeschneiderten Räumlichkeiten sowie Hof und Garten. Doch gebaut wurde das Haus für andere Zwecke und ein anderer und im Laufe der Jahrzehnte wechselnder Geist wehte durch die großzügigen Räume:

Altes Gebäude
Das Gebäude auf einer alten Fotografie
 
Zeichnet schnell, dass wir noch den "Am Graben", also im Mittelpunkt der Stadt gelegenen Bauplatz erwerben können. [1]

So lautete ein Aufruf an die Alten Herren des Akademischen Turnvereins, die am Beginn des 20.Jahrhunderts von Nachwuchssorgen geplagt waren.
Nur mit dem straffen Turn- und Ruderbetrieb allein kann man diese Leute nicht keilen. Das ist aussichtslos. Früher und bis vor wenigen Semestern noch war es möglich. Jetzt bieten die hausbesitzenden Korporationen den Füchsen zu viel. [2]
Ein repräsentatives Haus in zentraler Lage sollte da Abhilfe schaffen. Das Baugrundstück in der heutigen Goethestraße wurde erworben und unter fünf Greifswalder Architekten ein Wettbewerb mit Preisgeld ausgeschrieben. Man schrieb das Jahr 1911 und bereits ein Jahr später war das neue Vereinshaus erbaut, großzügig ausgestattet mit einem Saal für 100 Personen, mit sich über große Flügeltüren anschließendem Eß-, Spiel- und Billardzimmern, Veranda, Weinkeller und Mädchenkammer, einem geräumigen Fechtboden...[3]
Allerdings währte die Freude des Akademischen Turnvereins (1923/24 umbenannt in Akademische Turnverbindung) am neuen Haus nicht lange. 1934 wurden die Verbindungen verboten und die Verbindungshäuser in aller Regel Ende der 30er Jahre verkauft.

Im Greifswalder Adressbuch von 1937 ist die Stadt als Eigentümer des Gebäudes eingetragen und als Bewohner der Fischhändler Paul Köppen. [4]
Nach Gartenstraße, Am Gymnasium, Am Graben nannte man nun diesen Abschnitt der heutigen Goethestraße Schlageterstraße. [5]
Dem Adressbuch von 1942 ist zu entnehmen, daß die Stadt weiterhin Besitzer des Hauses war, das Haus jedoch vorübergehend von der Kinderklinik der Universität (Soldmannstraße 15) als Außenstelle genutzt wurde. [6]

Von 1947-1955 fand die Volksbücherei ein vorübergehendes Domizil in den Räumen des Hauses. Aus den bis dahin beengten Verhältnissen befreit, wurden v.a. die Größe und Helligkeit des als Ausleihraum dienenden Saales sehr geschätzt.
Im Jahre 1947 stellte die Stadt Greifswald der Volksbücherei, die seit 1945 völlig unzulänglich in zwei Räumen untergebracht war und mit unzureichendem Buchbestand arbeiten mußte, zureichende Räume in guter Verkehrslage zur Verfügung. Es handelt sich außer den Arbeitsräumen um einen großen Ausleihraum (8x11,5m) mit hohen Fenstern. [...] Die bisher gebrauchte Theke mit dem Präsenz- und Absenzapparat für die technischen und Buchungsarbeiten wurde rechts seitlich unmittelbar neben der Eingangstür aufgestellt. Sie rückte völlig aus dem Blickfeld des Eintretenden, sie wurde an die Seite geschoben und dem Leser dafür unmittelbar der gesamte Buchbestand dargeboten. Der Raum öffnet sich dem eintretenden Leser mit den sechs sternförmig aufgestellten Regalen und der aus drei Regalen gebildeten Buchwand im Hintergrund. Links vor den Fenstern wurde ein Tisch für Neuanmeldungen, für Einsichtnahme in die Kataloge, für kleine Sonderausstellungen zu bestimmten Gedenktagen, zu bestimmten Themen aufgestellt. Ein kleines Schild an der Tür bittet um Abgabe der Mappen und Taschen, die in dem hinter der Theke stehenden Regal aufbewahrt werden, solange der Leser direkt seine Auswahl vornimmt. [...] Die Größe des Raumes, die Weitläufigkeit der Aufstellung verhindern ein Drängen. Die Leser verlieren sich, haben das Gefühl, wirklich in einer eigenen Bücherei alle Möglichkeiten des Auswählens, Ansehens, der Anregung zu haben. Die Gefühl ist außerordentlich hoch zu bewerten und wird vor allem von den Neubürgern oft zum Ausdruck gebracht. Und schon diese Tatsache erscheint so wichtig und notwendig, daß die Einrichtung der Freihandbücherei als vollkommen den Erfordernissen der Zeit entsprechend bewertet werden muss. Die Freihandbücherei ist gerechtfertigt, weil sie aus einem demokratischen Gefühl heraus neue Möglichkeiten der Büchereiarbeit bringt: der frei zur Benutzung stehende sorgfältig ausgewählte Buchbestand ermöglicht jedem Menschen freien Umgang mit der Buchwelt, in freier selbstverantwortlicher Wahl kann sich der Leser betätigen, er gewinnt einen Überblick über die Bücherei als organisches Ganzes, die Bücher selbst sprechen anders und stärker an, als die Aufzählung der Titel im Katalog oder über den Buchkartenapparat. [...]
Als großes Novum hatten die Greifswalder Leser nun Gelegenheit, selbst an die Regale zu treten, Bücher durchzublättern und auszuwählen:
Die als einzige in der Ostzone nach neuen Gesichtspunkten eingerichtete Freihand-Bibliothek erfreut sich in weiten Kreisen der Bevölkerung größter Beliebtheit.
Eine Anordnung des Ministers für Kultur zur strukturellen Vereinigung der Kreisbibliotheken mit den vorhandenen Stadtbibliotheken ab 1.1.1955 erzwang infolge Raummangels Mitte Juni 1955 den Umzug beider Einrichtungen ins Rathaus.[7]

Nach diesen wechselvollen Jahren diente das Gebäude zu DDR-Zeiten ohne größere Umbauten dem Kreisschulamt als Arbeitsort. Wie alten Telefonbüchern zu entnehmen ist, wechselte lediglich die Bezeichnung mehrmals: 1957 Pädagogisches Kabinett, 1965 Pädagogisches Kreiskabinett, 1982 Kreiskabinett für Weiterbildung der Lehrer und Erzieher. [8] So wecken der für Sitzungen genutzte Saal oder das Schild "Sachbearbeiter für Besoldung" noch heute viele Erinnerungen bei Greifswalder Lehrern. Hinzu kam in dieser Zeit ein in Eigenleistung errichtetes Hofgebäude, in Form eines Flachbaus mit fünf Zimmern und zwei Garagen.

Nach der Wende fand das Landesinstitut für Schule und Ausbildung (L.I.S.A.) mit dem Lehrerprüfungsamt seinen Sitz in der Goethestraße 1, bis sie 1999 in der Bahnhofstraße ein neues Domizil bezogen.

Ca. 1½ Jahre standen die Räumlichkeiten mehr oder weniger leer und wurden als Band-Probenräume, für Kunstpräsentationen, als Büro und Abstellraum genutzt.

Auf der Suche nach einem geeigneten Objekt für die Verwirklichung von vagen Ideen stieß die "Urform" des später gegründeten IKuWo e.V. im Oktober 2000 auf die im Stadtbesitz befindliche Goethestraße 1. Sofort war klar: "Das ist unser ideales Haus!" und das erste Konzept wurde anhand der sich bietenden Möglichkeiten schnell konkret: Der Saal steht offen für Vorträge, Lesungen, Feste, auf der Hofseite ist ein Café entstanden, Keller und Garagen werden als Werkstätten genutzt. Die Zimmer im Obergeschoss des Haupthauses und in der "Baracke" auf dem Hof dienen hingegen als Wohnraum für Deutsche und Leute aus anderen Ländern.
Ab Januar 2001 war in der Baracke ein "Kontaktbüro" geschaffen und seit April 2001 konnten wir auch das Haus für Veranstaltungen nutzen. Den großen Auftakt bildete ein internationales Workcamp im Juni/Juli des Jahres, wo in Eigenleistung die Südfassade des Hauses mit Fresken und Mosaiken farbenreich saniert wurde. Mit Neueindeckung des Daches, Ausbesserungen im Dachstuhl und Installation eines neuen Heizkessels konnten der Verein seine Aktivitäten in trockenen und ab Dezember 2001 warmen(!) Räumen fortsetzen.
Auch wenn für die als Sofortmaßnahmen geplanten Bauvorhaben wie z.B. die Trockenlegung des Kellers von Seiten der Stadt bereits keine Gelder mehr zur Verfügung stehen, bieten die Gebäude trotz aller Provisorien bereits einen Raum, der nach Jahrzehnten von Hierarchien, Richtlinien und festen Strukturen verschiedener Ausrichtungen geprägt ist von Selbstorganisation, Kreativität, Freiräumen und Eigeninitiative.



[1] Archiv der EMAU Greifswald, Akte ATV 94
[2] Archiv der EMAU Greifswald, Akte ATV 94
[3] Archiv der EMAU Greifswald, Akte ATV 94
[4] Stadtarchiv, Adressbuch von 1937
[5] Lukoschek, H. (2001): Vom Ahornweg zur Wendelsteinstraße. Schelzky & Jeep Berlin.
[6] Archiv der EMAU Greifswald, Adressbuch von 1942
[7] Stadtarchiv, Manuskript Nr. 179: Von der Volksbücherei zur Stadt- und Kreisbibliothek Greifswald: Chronik (Diplomarbeit, 1989), S.50 f, 102 ff, Anlage 15 Aus der Praxis der Greifswalder Freihandbücherei von Anneliese Illner (Leiterin der Bücherei) in der Zeitschrift Der Bibliothekar, Erstes Heft 1950 Illner, Anneliese
[8] Stadtarchiv, Telefonbücher von 1957, 1965, 1982

 

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