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Vereinbarung zwischen
der Bundesregierung und den
Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000
Gliederungsübersicht
I. Einleitung
II. Beschränkung des Betriebs der
bestehenden Anlagen
III. Betrieb der Anlagen während der
Restlaufzeit
IV. Entsorgung
V. Novelle des Atomgesetzes
VI. Sicherung der Beschäftigung
VII. Monitoring
VIII. Anhang
Anlage I: Tabelle zu den Strommengen
Anlage II: Erklärung des Bundesumweltministeriums
gegenüber RWE zum weiteren Verfahren der
Nachrüstung des KKW Biblis A
Anlage III: Periodische Sicherheitsüberprüfung
Anlage IV: Erklärung des Bundes zur
Erkundung des Salzstockes Gorleben
Anlage V: Summarische Darstellung einer
Novelle des Atomgesetzes
I. Einleitung
Der Streit um die Verantwortbarkeit der Kernenergie hat in unserem Land
über Jahrzehnte hinweg zu heftigen
Diskussionen und Auseinandersetzungen in
der Gesellschaft geführt. Unbeschadet der nach wie vor
unterschiedlichen Haltungen zur Nutzung
der Kernenergie respektieren die EVU die Entscheidung der
Bundesregierung, die Stromerzeugung aus
Kernenergie geordnet beenden zu wollen.
Vor diesem Hintergrund verständigen sich Bundesregierung und Versorgungsunternehmen
darauf, die
künftige Nutzung der vorhandenen Kernkraftwerke
zu befristen. Andererseits soll unter Beibehaltung eines
hohen Sicherheitsniveaus und unter Einhaltung
der atomrechtlichen Anforderungen für die verbleibende
Nutzungsdauer der ungestörte Betrieb
der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung gewährleistet werden.
Beide Seiten werden ihren Teil dazu beitragen, dass der Inhalt dieser
Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird.
Die Bundesregierung wird auf der Grundlage
dieser Eckpunkte einen Entwurf zur Novelle des Atomgesetzes
erarbeiten. Bundesregierung und Versorgungsunternehmen
gehen davon aus, dass diese Vereinbarung und
ihre Umsetzung nicht zu Entschädigungsansprüchen
zwischen den Beteiligten führt.
Bundesregierung und Versorgungsunternehmen verstehen die erzielte Verständigung
als einen wichtigen
Beitrag zu einem umfassenden Energiekonsens.
Die Beteiligten werden in Zukunft gemeinsam daran arbeiten,
eine umweltverträgliche und im europäischen
Markt wettbewerbsfähige Energieversorgung am Standort
Deutschland weiter zu entwickeln. Damit
wird auch ein wesentlicher Beitrag geleistet, um in der
Energiewirtschaft eine möglichst große
Zahl von Arbeitsplätzen zu sichern.
II. Beschränkung des Betriebs der bestehenden Anlagen
1. Für jede einzelne Anlage wird festgelegt, welche Strommenge sie
gerechnet ab dem 01.01.2000 bis zu ihrer
Stilllegung maximal produzieren darf (Reststrommenge).
Die Berechtigung zum Betrieb eines KKW endet,
wenn die vorgesehene bzw. durch Übertragung
geänderte Strommenge für die jeweilige Anlage erreicht ist.
2. Die Reststrommenge (netto) wird wie folgt berechnet:
· Für jede Anlage wird auf
der Grundlage einer Regellaufzeit von 32 Kalenderjahren ab Beginn des
kommerziellen Leistungsbetriebs die ab
dem 01.01.2000 noch verbleibende Restlaufzeit errechnet. Für
Obrigheim wird eine Übergangsfrist
bis zum 31.12.2002 vereinbart.
· Weiterhin wird eine jahresbezogene
Referenzmenge zu Grunde gelegt, die für jedes Kraftwerk als
Durchschnitt der 5 höchsten Jahresproduktionen
zwischen 1990 und 1999 berechnet wird. Die
Referenzmenge beträgt für die
KKW insgesamt 160,99 TWh/a (ohne Mülheim-Kärlich).
· Gegenüber diesen Referenzmengen
wird für die Restlaufzeit auf Grund der sich fortsetzenden technischen
Optimierung, der Leistungserhöhung
einzelner Anlagen und der durch die Liberalisierung u.a. veränderten
Reservepflicht zur Netzstabilisierung eine
um 5,5 % höhere Jahresproduktion unterstellt.
· Die Reststrommenge ergibt sich
durch Multiplikation der um 5,5 % erhöhten Referenzmenge mit der
Restlaufzeit. Die sich so für die
einzelnen KKW ergebenden Reststrommengen sind in der Anlage 1
aufgeführt. Diese Reststrommengen
werden im Anhang zur Novelle des AtG verbindlich festgelegt; Ziff. II
/ 4
bleibt unberührt.
3. Die EVU verpflichten sich, monatlich dem Bundesamt für Strahlenschutz
die erzeugte Strommenge zu
melden.
4. Die EVU können Strommengen (Produktionsrechte) durch Mitteilung
der beteiligten Betreiber an das BfS
von einem KKW auf ein anderes KKW übertragen.
Zwischen den Verhandlungspartnern besteht Einvernehmen, dass die Flexibilität
genutzt wird, um
Strommengen von weniger wirtschaftlichen
auf wirtschaftlichere Anlagen zu übertragen. Deshalb werden
grundsätzlich Strommengen von älteren
auf neuere und von kleineren auf größere Anlagen übertragen.
Sollten
Strommengen von neueren auf ältere
Anlagen übertragen werden, bedarf dies des Einvernehmens zwischen
den Verhandlungspartnern im Rahmen der
Monitoring-Gruppe (vgl. Ziffer VII) unter Beteiligung des
betroffenen EVU; dies gilt nicht bei gleichzeitiger
Stilllegung der neueren Anlage.
5. RWE zieht den Genehmigungsantrag
für das KKW Mülheim-Kärlich zurück. Ebenso nimmt das
Unternehmen die Klage auf Schadensersatz
gegen das Land Rheinland-Pfalz zurück. Mit der Vereinbarung
sind alle rechtlichen und tatsächlichen
Ansprüche im Zusammenhang mit dem Genehmigungsverfahren sowie
mit den Stillstandszeiten der Anlage abgegolten.
RWE erhält die Möglichkeit entsprechend der Vereinbarung 107,25
TWh gemäß Ziff. II/4 auf andere KKW zu übertragen.
Es besteht Einvernehmen, dass diese Strommenge auf das KKW Emsland oder
andere neuere Anlagen sowie
auf die Blöcke B und C des KKW Gundremmingen
und max. 20 % auf das KKW Biblis B übertragen werden.
III. Betrieb der Anlagen während der Restlaufzeit
1. Sicherheitsstandard / Staatliche Aufsicht
Unbeschadet unterschiedlicher Einschätzungen
hinsichtlich der Verantwortbarkeit der Risiken der
Kernenergienutzung stimmen beide Seiten
überein, dass die Kernkraftwerke und sonstigen kerntechnischen
Anlagen auf einem international gesehen
hohen Sicherheitsniveau betrieben werden. Sie bekräftigen ihre
Auffassung, dass dieses Sicherheitsniveau
weiterhin aufrecht erhalten wird.
Während der Restlaufzeiten wird der von Recht und Gesetz geforderte
hohe Sicherheitsstandard weiter
gewährleistet; die Bundesregierung
wird keine Initiative ergreifen, um diesen Sicherheitsstandard und die
diesem zugrundeliegende Sicherheitsphilosophie
zu ändern. Bei Einhaltung der atomrechtlichen
Anforderungen gewährleistet die Bundesregierung
den ungestörten Betrieb der Anlagen.
Zum weiteren Verfahren der Nachrüstung des KKW Biblis A wird auf
die in Anlage 2 enthaltene Erklärung
des Bundesumweltministeriums gegenüber
der RWE AG verwiesen.
Die EVU werden bis zu den in Anlage 3 genannten Terminen Sicherheitsüberprüfungen
(SSA und PSA)
durchführen und die Ergebnisse den
Aufsichtsbehörden vorlegen. Damit wird eine bei der Mehrzahl der
KKW
begonnene Praxis fortgesetzt.
Die Prüfungen sind alle 10 Jahre zu wiederholen. Die PSÜ entfällt,
wenn der Betreiber verbindlich erklärt,
dass er den Betrieb der Anlage binnen 3
Jahren nach den in Anlage 3 genannten Terminen einstellen wird.
Die Sicherheitsüberprüfung erfolgt auf der Grundlage des PSÜ-Leitfadens.
Bei einer Fortentwicklung des Leitfadens wird BMU die Länder, die
Reaktorsicherheitskommission und die
Betreiber der KKW beteiligen.
Die Pflicht zur Vorlage einer Sicherheitsüberprüfung wird als
Betreiberpflicht zur Unterstützung der
staatlichen Aufsicht im Rahmen des §
19 AtG gesetzlich normiert.
Die Unabhängigkeit und Qualifikation der GRS bleibt gewährleistet.
Die Forschung auf dem Gebiet der Kerntechnik, insbesondere der Sicherheit,
bleibt frei.
2. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen
Die Bundesregierung wird keine Initiative
ergreifen, mit der die Nutzung der Kernenergie durch einseitige
Maßnahmen diskriminiert wird. Dies
gilt auch für das Steuerrecht. Allerdings wird die Deckungsvorsorge
durch Aufstockung der so genannten zweiten
Tranche oder einer gleichwertigen Regelung auf einen Betrag
von 5 Mrd. DM erhöht.
IV. Entsorgung
1. Zwischenlager
Die EVU errichten so zügig wie möglich
an den Standorten der KKW oder in deren Nähe Zwischenlager. Es
wird gemeinsam nach Möglichkeiten
gesucht, vorläufige Lagermöglichkeiten an den Standorten vor
Inbetriebnahme der Zwischenlager zu schaffen.
2. Wiederaufarbeitung
Die Entsorgung radioaktiver Abfälle
aus dem Betrieb von KKW wird ab dem 01.07.2005 auf die direkte
Endlagerung beschränkt. Bis zu diesem
Zeitpunkt sind Transporte zur Wiederaufarbeitung zulässig.
Angelieferte Mengen dürfen verarbeitet
werden. Die Wiederaufarbeitung setzt den Nachweis der schadlosen
Verwertung für die zurückzunehmenden
Wiederaufarbeitungsprodukte voraus.
Die EVU werden gegenüber ihren internationalen Partnern alle zumutbaren
vertraglichen Möglichkeiten
nutzen, um zu einer frühestmöglichen
Beendigung der Wiederaufarbeitung zu kommen.
Die Bundesregierung und EVU gehen davon aus, dass in dem vorgesehenen
Zeitraum die noch verbleibenden
Mengen transportiert werden können.
Sie gehen des weiteren davon aus, dass die Genehmigungsverfahren für
Transporte zur Wiederaufarbeitung bei Vorliegen
der gesetzlichen Voraussetzungen bis zum Sommer 2000
abgeschlossen werden können.
Sollte der Prozess der Abwicklung der Wiederaufarbeitung aus von den EVU
nicht zu vertretenden Gründen
nicht zeitgerecht durchgeführt werden
können, werden beide Seiten rechtzeitig nach geeigneten Lösungen
suchen.
3. Transporte
Die EVU können abgebrannte Brennelemente
bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen bis zur
Inbetriebnahme der jeweiligen standortnahen
Zwischenlager in die regionalen Zwischenlager sowie bis zur
Beendigung der Wiederaufarbeitung ins Ausland
transportieren. Beide Seiten gehen davon aus, dass die
standortnahen Zwischenlager in einem Zeitraum
von längstens fünf Jahren betriebsbereit sind.
Bundesregierung, Länder und EVU richten
gemeinsam eine ständige Koordinierungsgruppe zur
Durchführung der Transporte ein. Zu
den Aufgaben gehört auch die Zusammenarbeit mit den
Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern.
4. Gorleben
Die Erkundung des Salzstockes in Gorleben
wird bis zur Klärung konzeptioneller und sicherheitstechnischer
Fragen für mindestens 3, längstens
jedoch 10 Jahre unterbrochen.
Die Bundesregierung gibt zur Erkundung des Salzstockes Gorleben eine Erklärung
ab, die als Anlage 4
Bestandteil dieser Vereinbarung ist.
5. Pilotkonditionierungsanlage
Die zuständigen Behörden schließen
das Genehmigungsverfahren für die Pilotkonditionierungsanlage nach
den gesetzlichen Bestimmungen ab. Die Nutzung
der Anlage wird auf die Reparatur schadhafter Behälter
beschränkt. Ein Antrag auf Sofortvollzug
der atomrechtlichen Genehmigung wird nur bei akutem Bedarf
gestellt.
6. Schacht Konrad
Die zuständigen Behörden schließen
das Planfeststellungsverfahren für den Schacht Konrad nach den
gesetzlichen Bestimmungen ab. Der Antragsteller
nimmt den Antrag auf sofortige Vollziehbarkeit des
Planfeststellungsbeschlusses zurück,
um eine gerichtliche Überprüfung im Hauptsacheverfahren zu
ermöglichen.
7. Kosten für Gorleben und Schacht Konrad
Es besteht Einvernehmen, dass die Kosten
für Gorleben und Schacht Konrad notwendigen Aufwand
darstellen. Die EVU werden daher im Hinblick
auf Gorleben und auf die von ihnen anteilig zu
übernehmenden Kosten für Schacht
Konrad keine Rückzahlung von Vorauszahlungen verlangen. Grundlage
ist die vom Bund abgegebene Zusage zur
Sicherung des Standortes Gorleben während des Moratoriums (vgl.
in Anlage 4 die Erklärung des Bundes
zur Erkundung des Salzstockes in Gorleben). Die Offenhaltungskosten
werden von den EVU (bei Schacht Konrad
anteilig) übernommen.
Die EVU nehmen zur Kenntnis, dass sich die Bundesregierung um eine vergleichsweise
Klärung von
Entschädigungsansprüchen des
Bundes gegen das Land Niedersachsen im Zusammenhang mit früheren
aufsichtlichen Verfügungen bzw. der
Nichterteilung von Zulassungen bemüht. Die EVU erklären, dass
sie
bezüglich der auf sie entfallenden
Anteile keine Rückzahlungsansprüche gegen den Bund geltend machen
werden.
8. Entsorgungsvorsorgenachweis
Der Entsorgungsvorsorgenachweis wird an
die Inhalte dieser Vereinbarung angepasst.
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