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Ende der Nachsicht
- Spiegelmacher muss ins Gefängnis
Skin“,
immer wieder „Skin“. Manchmal auch „Hass“. Je nachdem welche Hand er ständig
zum Mund führt. Je nachdem an welchen Nägeln er kaut, je nachdem sind
„Skin“ und „Hass“ auf seinen Fingern zu lesen. Eintätowiert. Vor vielen
Jahren. Jugendsünden, wie er einmal in einem Interview sagte. Und sie
sind oft zu lesen. Sehr oft. Denn Spiegelmacher ist nervös, extrem nervös.
Ständig zucken seine Gesichtsmuskeln, ständig runzelt er die Stirn, kneift
die Brauen zusammen, verzieht den Mund nach hinten, rollt mit seinen Augen,
läßt seinen Blick durch den Saal kreisen. Zu seinem Anwalt Dr. Eisenecker,
stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD, zur vorsitzenden Richterin,
zur Staatsanwältin, zu den Zeugen, die ihn eigentlich entlasten sollen.
Dabei hatte er sich noch vor dem Amtsgericht unter seinen Kameraden betont
lässig gezeigt. Rund 30 NPD- Anhänger hatten sich am Karl-Marx-Platz eingefunden
und bekundeten mit Fahnen und Transparenten („Freiheit für Maik Spiegelmacher“)
ihre Solidarität mit ihrem Anführer. Der genoß dies sichtlich. Keine Spur
von Nervosität, locker, lachend, permanent grinsend. „Seht her, mir kann
nichts passieren“. In den Saal zehn, noch schnell ein Maskenwechsel. Das
Lachen weicht einem angestrengten Grinsen. Manchmal reicht es nicht einmal
mehr dafür und die unkontrollierten Zuckungen beherrschen wieder sein
Gesicht. Grauer Pullover, blaue Jeans, leise Schuhe, nur nicht brutal
wirken. Ganz im Gegensatz zu seinen Intimi. Schwere Stiefel, Bomberjacken,
hochgekrempelte Militärhosen und breitbeinig wippend. Der Saal ist völlig
überfüllt. Nazis belegen rund dreiviertel der Plätze. Nicht noch mehr,
weil sich einige andere, beim Eintritt an ihnen vorbeidrängelnd, einen
Platz sichern konnten. Das Interesse der Öffentlichkeit ist groß, nur
muss sie vorläufig draußen bleiben. Es ist kein Platz mehr. Die Informationspolitik
des Gerichts ist ohnehin fragwürdig. Pressevertreter hatten zum Teil erst
einen Tag vorher vom Prozeß erfahren und interessierten Bürgern, die sich
telefonisch nach der genauen Uhrzeit erkundigen wollten, wurde vom Gericht
erklärt,dass diese vorher nicht mitgeteilt würde, sondern auf einem Tagesplan
erst am Prozessmorgen nachzulesen sei. Dabei ist Spiegelmacher einigermaßen
bekannt in der Stadt und für viele Greifswalder und Greifswalderinnen
ein Synonym für das hässliche Gesicht Greifswalds und die traurigen Ereignisse
der letzten Jahre in dieser Stadt. Und es sollte nicht um Apfelklau oder
Schwarzfahren gehen, sondern um eine Körperverletzung und eine Trunkenheitsfahrt
innerhalb einer mehrjährigen Bewährungszeit. Im November letzten Jahres
soll Spiegelmacher einen Bekannten am Kopf verletzt haben und im April
diesen Jahres stellten ihn Greifswalder Polizisten auf einer nächtlichen
Autospritztour mit mehr als 1,5 Promille Alkohol im Blut. Zwei Vorwürfe,
die vor dem Hintergrund seiner Vorstrafen und seiner gerade vor ein paar
Tagen abgelaufenen Bewährung bei Verurteilung mit Sicherheit eine Gefängnisstrafe
nach sich ziehen würden. Außerdem will Spiegelmacher im nächsten Jahr
zu mehreren Wahlen antreten und wird im Wahlkampf als Greifswalder Vorzeigefigur
gebraucht.
Es steht einiges auf dem Spiel. Dies wissen auch die Zeugen, die ihn entlasten
sollen. Von der Körperverletzung bekam die Polizei durch Zufall während
einer anderen Vernehmung Kenntnis. Für deren Ermittlung postulierte die
Staatsanwaltschaft ein öffentliches Interesse und begann deshalb auch
ohne Anzeige des Geschädigten zu ermitteln. Karlsburg, November 2000:
Auf einer Geburtstagsfeier kommt es zwischen Spiegelmacher und seinem
Bekannten W. zum Streit über Musik, der dann im Hausflur angeblich durch
gegenseitiges Schubsen zum Sturz und Kopfverletzung von W. führt. Mit
Schubsen hätte der Verletzte angefangen. Spiegelmacher wollte nur die
Distanz wieder herstellen und gab seinem Kontrahenten retour. Der Verletzte,
stark alkoholisiert, sei getaumelt und mit dem Kopf gegen eine Stange
gestoßen. Spiegelmacher, ganz der Samariter, hätte sich sofort um den
Verletzten gekümmert und dann mit allen wieder munter bis zum nächsten
Morgen weitergefeiert. W. bestätigt im Wesentlichen Spiegelmachers Version
und betont, dass auf alle Fälle er, im Habitus rund die Hälfte von Spiegelmachers
Volumen und mehr als einen Kopf kleiner, mit Schubsen angefangen habe
und es somit alles auch seine Schuld sei. Er spricht sehr leise und wirkt
ängstlich. Die Richterin muß ihn mehrfach ermahnen, doch bitte lauter
zu sprechen. Bei der Befragung über seine später widerrufenen Aussagen
bei der Polizei, in denen er eine andere Version lieferte, wirkt er völlig
hilflos. Auf die Frage, wer ihm denn beim schriftlichen Widerruf geholfen
habe, eine Bemerkung darüber war ihm gerade entwichen, ist W. überhaupt
nicht gefaßt. Hilflos fragende Blicke an Spiegelmachers Anwalt Eisenecker
bleiben unbeantwortet. Nach einigem Stammeln erklärt er, er wisse es nicht
mehr. Die nach ihm befragten Kriminalbeamten geben an, dass W. in der
ersten Vernehmung eine andere Version lieferte und mit zunehmender Nachfrage
offenbar immer mehr Angst bekam. Angst vor den Konsequenzen seiner Aussage?
Mehr Licht bringt ein anderer Zeuge. H., der an diesem Abend eine Bekannte
von der Feier abholen wollte und so nur zufällig anwesend war, bestätigt
seine bei der Polizei gemachten Aussagen. Beim Öffnen der Wohnungstür
hätte W., wahrscheinlich jemand anderen erwartend, mit blutendem Kopf
und einem Knüppel in der Hand einen Satz zurück gemacht. Spiegelmacher
selbst war nicht anwesend. Insgesamt sei die Stimmung sehr niedergeschlagen
gewesen und H. hatte den Eindruck, die in der Wohnung Verbliebenen, inklusive
W., hätten Angst vor Spiegelmachers Rückkehr gehabt. Eine weitere Zeugin,
die in ihren polizeilichen Vernehmungen Spiegelmacher schwer belastet
hatte, wird nicht gehört, da sie ein Attest vorweisen kann. Darin bescheinigte
ihr ein Arzt, eine Befragung könnte ihr und ihrer Schwangerschaft schaden.
Angst, physischer oder psychischer Druck oder was auch immer - wie weit
Spiegelmachers Kameraden gehen, um ihren Führer zu entlasten, zeigt sein
ehemaliger Mitbewohner in der Befragung zum zweiten Tatkomplex. In der
Nacht zum 13. April 2001 beobachteten zwei Polizeibeamte in der Makarenkostraße
ein ungewöhnlich langsam fahrendes Fahrzeug. Mit dem Verdacht auf eine
sogenannte Trunkenheitsfahrt stoppten sie den Wagen und kontrollierten
seinen Fahrer. Bei diesem handelte es sich, da waren sich beide Beamten
hundertprozentig sicher, um Maik Spiegelmacher. Beide hatten den Wagen
eine Zeit lang verfolgt und die Insassen und Türen nicht aus den Augen
gelassen. Der Fahrertür entstieg Spiegelmacher. Sein nächtlicher Spritztourkumpan
St. und er behaupten aber, St. sei gefahren und Spiegelmacher lediglich
Beifahrer gewesen. Beide seien noch vor Ankunft der Polizeistreife ausgestiegen
und vor das Auto gegangen, damit Spiegelmacher, von der Beifahrerseite
kommend, St. als Fahrer die Fahrzeugpapiere geben konnte. Dabei hätten
die Polizisten sie verwechselt. Das ist selbst der Staatsanwältin etwas
zu himmelblau. Sie läßt Spiegelmachers „Fahrer“ vereidigen. Der stand
noch vor Prozessbeginn auf dem Gerichtsvorplatz bei einem Transparent:
„Wer die Wahrheit nicht erkennt, ist ein Dummkopf. Wer sie aber eine Lüge
nennt, ein Verbrecher“ Nun wird er wahrscheinlich selbst die Konsequenzen
des Spruchs zu spüren bekommen, denn auch wer die Lüge Wahrheit nennt,
ist nach dem Gesetz ein Verbrecher. Ein Meineid wird laut Strafgesetzbuch
mit mindestens einem halben Jahr Freiheitsentzug bestraft.
Während Spiegelmachers Vorstrafen verlesen werden, seine Bewährungszeiten
erörtert werden und selbst seine Bewährungshelferin lieber gar keine Sozialprognose
abgeben möchte, sind seine Tätowierungen an der Hand ununterbrochen zu
lesen. Nur in der Pause, vor seinen Kameraden, zeigt er sich wieder betont
locker.
Für die Staatsanwältin gestalten sich beide Fälle als klare Sache. Ihr
Plädoyer ist dementsprechend kurz und bündig. Neun Monate Gefängnis ohne
Bewährung, kein neuer Führerschein in den nächsten 14 Monaten. Anders
Rechtsanwalt Eisenecker. Sich der schlechten Karten seines Mandanten bewusst,
holt er weit aus. Sehr weit. Die Kopfverletzung eine Lappalie wie bei
spielenden Kindern und eher ein Unfall als eine Körperverletzung. Die
ganze Ermittlung laut einem BGH-Urteil nicht rechtens. Die Polizeibeamten
durch marginale Abweichungen in ihren Aussagen per se unglaubwürdig. Seine
Forderung: Freispruch in beiden Fällen.
Doch von Eiseneckers berüchtigter Rethorik läßt sich die Vorsitzende nicht
beeindrucken. Ihr Urteil lautet acht Monate Freiheitsentzug ohne Bewährung.
Vierzehn Monate keinen Führerschein. Die Kosten trägt der Angeklagte.
„Skin“ und „Hass“ verschwinden in der Jackentasche und sein Gesicht bleibt
stehen. Erstarrt in einer Mischung aus Wut und Unglauben.
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„'Nigger', das
sagt doch jeder normale Mensch“ - Prozeß gegen die Peiniger des sudanesischen
Studenten Ali S.
Klickende
Handschellen. In ihnen drei junge Männer. Der jüngste18, der älteste 20.
Angeklagt des versuchten Mordes an einem 24-jährigen Studenten aus dem
Sudan. Zusammengeschlagen und brutal misshandelt auf der Toilette der
Greifswalder Dompassage. Seine Hautfarbe und der Zufall ließen ihn zum
Opfer werden. Auch bei der Aufklärung spielte der Zufall eine nicht unwichtige
Rolle. Am 9. April bekam ein damaliger Mitarbeiter von moritz TV die Information,
in Greifswald hätte sich erneut ein rassistischer Übergriff auf einen
ausländischen Studenten ereignet. Auf der Toilette der Greifswalder Dompassage
hätten mehrere deutsche Jugendliche einen farbigen Studenten zusammengeschlagen
und verletzt. Am darauffolgenden Mittwoch fand sich jedoch in der Greifswalder
Presse keine Mitteilung zu diesem Vorfall. Bei einem Interview zum anstehenden
Castortransport mit dem Chef der Polizeidirektion Anklam und seinem Pressesprecher
fragte er noch am Mittwoch nach. Dort hieß es nur, dies könne nicht sein,
davon hätte man sonst längst Meldung aus der Polizeiinspektion Greifswald
bekommen. Gerade bei Gewaltdelikten gegen Ausländer sei man aufgrund der
besonderen Bedeutung solcher Straftaten sehr sensibel. Fazit: Falschinformation.
Trotzdem wolle man noch mal in Greifswald nachfragen. Und plötzlich, der
Vorfall hatte sich tatsächlich ereignet, war aber durch die Kollegen der
PI Greifswald nicht weitergemeldet worden. Vorschriftswidrig. Bei einer
anderen, angenehmeren Gelegenheit wäre die Bezeichnung „mit heruntergelassenen
Hosen erwischt“ sicher sehr passend gewesen. Plötzlich herrschte rege
Betriebsamkeit und ein großer OZ-Artikel darüber tat sein übriges. Natürlich
ist es nur eine Vermutung, dass dieser Fall mit dem Stempel „Verfahren
eingestellt, da keine Täterermittlung“ in die ewigen Aktengründe eingegangen
wäre. Doch der politische Druck verfehlte seine Wirkung nicht. Vertreter
der Universität und der Stadt meldeten sich zu Wort und eine Demonstration
von deutschen und ausländischen Studierenden führte vom Studienkolleg
in der Makarenkostraße auf den Greifswalder Markt. Auf dem Weg dorthin
zeigte sogar der NPD-Chef von Greifswald, Spiegelmacher, Flagge - NPD-Fahnen
vom Balkon seiner Wohnung, an der die Demonstration vorbeiführte.
Knapp drei Wochen später war in der OZ zu lesen, der Überfall in der Dompassage
stehe offenbar vor seiner Aufklärung. Mehrere Tatverdächtige seien festgenommen
worden. Nach neuester Zeugenvernehmung habe die Tat jedoch keinen rechtsradikalen
Hintergrund und die vermutlichen Täter seien ganz normale Jugendliche.
Kein ausländerfeindliches Motiv, kein Eingang in die Statistik über rechtsradikale
Gewalt im Land. Daran dürfte sich bis heute nichts geändert haben. Genausowenig
wie an dem Wort, das sich Christian H., einer der Angeklagten, auf seine
linke Hand tätowiert hat und in der Verhandlung versucht, ständig mit
seiner Rechten zu bedecken. Früher waren die beiden „S“ in „Hass“ Runen,
das Zeichen der SS. Aber nach Drohung eines Polizeibeamten, er würde ihn
wegen Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen anklagen, hätte er
sich für straffreie „S“ mit abgerundeten Bögen entschieden. Doch davon
wird das Opfer Ali S. nichts bemerkt haben, denn Christian H. stand Schmiere
und passte auf, dass niemand seine Freunde störte. Auch das Zeichen „88“
auf der Faust von Heiko S., einem weiteren Angeklagten, wird Ali S. kaum
bemerkt haben, während sie in sein Gesicht schlug und er das Bewusstsein
verlor. Wenn doch, hat er es sicher nicht verstanden. Wie alles an diesem
Abend.
Es war schlichtes Pech, dass sich sein Weg mit denen von Ralf M., Christian
H., Heiko S. und Maik M. (das Verfahren gegen ihn ist von dem der anderen
abgetrennt) kreuzte. Am Abend begegnet er diesen vier auf der Toilette
der Greifswalder Dompassage. Die, so oft dort wie betrunken, gehören zu
einer Clique, die regelmäßig in der Dompassage abhängt und bekannt dafür
ist, Passanten anzupöbeln. So auch auf der Toilette. Es fällt ein Wort,
das Ali nicht versteht. Er fragt nach und erhält als Antwort eine Schimpfkanonade,
die auf ihn niederprasselt und der sofort Fäuste folgen. Er geht zu Boden
und verliert die Erinnerung an das nun Folgende. Zehn bis fünfzehn Minuten,
so einer der Angeklagten, habe die ganze Sache gedauert. Zehn bis fünfzehn
Minuten, in denen zwei die Tür sichern und zwei sich über den hilflosen
und am Boden liegenden Ali S. hermachen. Zehn bis fünfzehn Minuten - so
lang wie die „Tagesschau“. Als seine Peiniger endlich von ihm ablassen,
liegt Ali in seinem eigenen Blut. Nur mit Mühe kann er sich zu seinem
vor der Passage wartenden Freund schleppen.
Der behandelnde Arzt sagt in der Verhandlung aus, er habe schon einige
hundert „Rohheitsdelikte“ gesehen, aber er hätte sich sehr gewundert,
warum der Geschädigte bei diesen massiven Gesichtsverletzungen keine Frakturen
davon getragen habe.
Alis Aussage fällt ihm sichtlich schwer. Mit gesenktem Blick spricht er
so leise, dass nur sein Dolmetscher ihn verstehen kann. Nur nach Aufforderung
schaut er in die Gesichter der Angeklagten und erkennt seine Peiniger
wieder. Für die Angeklagten ist die Sache klar. Ali, drei der vier Angeklagten
sind größer und kräftiger als er, habe ganz klar die vier provoziert.
Deshalb hätten sie ihn geschubst und „leicht“ geschlagen. Außerdem sei,
so Ralf M.: „mein Fuß irgendwie gegen sein Bein gekommen“, aber getreten
habe niemand. Das ist selbst seinem Anwalt zuviel. Er ermahnt seinen Klienten
bestimmt, es hätte hier jetzt keinen Sinn, Dinge zu erzählen, die sich
durch das rechtsmedizinische Gutachten leicht widerlegen lassen und bittet
um eine Unterbrechung. Auch der Anwalt von Christian H. ist bei den Aussagen
seines Klienten nervös und lässt ein Aktengummi wie einen Rosenkranz durch
seine Hand kreisen. Sobald der vorsitzende Richter ihnen ihre polizeilichen
Vernehmungen und gegenseitigen Belastungen vorhält, bleibt ihnen nichts
anderes übrig, als sich in ein kleinlautes „ich weiß nicht mehr“ zu flüchten.
Das ist ihr Recht, aber nicht ihr Vorteil. Trotzdem zeichnet sich so ein
etwas anderes Bild ab. Von „Kampfmaschinen“, die wie von Sinnen waren
(Maik M. über Ralf M. und Heiko S.), und „ich dachte, der wär tot“ (Maik
M. über Ali S.) ist die Rede. Zahlen fallen: zehn bis fünfzehn Tritte
auf Beine, Oberkörper, Kopf, Genick und Gesicht, mehrere Faustschläge
ins Gesicht, insgesamt zehn Minuten (Heiko S.) oder sogar fünfzehn Minuten
(Christian H.) Dauer der Misshandlung. Aufgehört hätten sie, weil er „genug
hatte“, denn „es war mir klar, dass er sterben kann“ (Christian H.). Auch
das Motiv wird durch die Aussagen etwas klarer. Christian H. und Heiko
S. seien zur Tatzeit beide „rechts“ gewesen, erklären sie. Ausländer mögen
sie nicht, „raus mit den Leuten“. Sein: „Ich wurde wütend auf den Nigger“
sei Heiko S. in der Vernehmung nur so rausgerutscht und außerdem verwende
das Wort „doch jeder normale Mensch“. Auf die Frage, ob die Tat etwas
mit dem Ausländersein von Ali S. zu tun hat, möchte er lieber nichts sagen.
Ebenso zur Bedeutung der Zahl „88“ auf seiner Hand. Sie gefalle ihm eben.
Unklar bleibt die Frage, mit welchen Schuhen er zugetreten habe. Stahlbewehrte
„Doc Martens“ wie es Maik M. in der Vorvernehmung behauptete oder einfache
Turnschuhe. Beim Blut an bei ihm beschlagnahmten Turnschuhen handelt es
sich laut Rechtsmedizin jedenfalls nicht um das Blut von Ali S.
Insgesamt begreifen die drei nicht so recht die Schwere des Verbrechens,
das ihnen vorgeworfen wird. Sie wirken wie drei Schuljungen, die zum Direktor
zitiert worden sind. Heiko S. lächelt seiner Mutter verlegen zu, als ginge
es um eine eingeworfene Scheibe bei den Nachbarn. Sie verstehen nicht,
wenn der Gerichtsmediziner von „oberflächlicher Hautläsion durch tangentiale
Gewalteinwirkung“ oder die psychiatrische Gutachterin vom fehlenden „adäquaten
Selbstwertkonzept“ sprechen. Aber sie haben damals verstanden, was es
braucht, um einen Schwächeren, Wehrlosen zu malträtieren. Schließlich
trägt es einer von ihnen auf seiner Hand. Die Urteile sind durchweg Haftstrafen
ohne Bewährung: Ralf M. ist nach Ansicht des Gerichts außer der gefährlichen
Körperverletzung an Ali S. für einen Angriff auf einen Touristen auf dem
Marktplatz im April 2001 verantwortlich. Gegen ihn ergeht zusätzlich wegen
einiger Diebstähle eine Gesamthaftstrafe von vier Jahren. Christian H.
ist der Beihilfe an der gefährlichen Körperverletzung an Ali S. schuldig
und wird zu einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Das Gericht befand
Heiko S. der gefährlichen Körperverletzung in drei Fällen sowie einer
Bedrohung für schuldig und verhängt eine Haftstrafe von vier Jahren. Nach
Ansicht des Richters hat gerade er sich mit "unglaublicher Brutalität"
auf Ali S. gestürzt. Dass dieser noch am Leben ist und im Gericht seine
Aussage machen konnte, sei simples Glück. Er hätte auch sterben können.
Der Grund für seinen Angriff sei nichts anderes als die dunkle Hautfarbe
von Ali S. gewesen und blanker Ausländerhass sein einziges Motiv.
Sven Römer
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