GrIStuF - Eine Idee mit Gestalt

Greifswald wird im Juni für eine Woche Nabel der Welt

10 Tage, 450 Teilnehmer, 9 Themen, jede Menge Spaß und unvergessliche Begegnungen: Seit Mai 2001 planen junge Leute in Greifswald das erste Greifswald International Students Festival (GrIStuF). Die anfänglichen Schwierigkeiten sind überwunden und bis zur Eröffnungsveranstaltung am 1. Juni 2002 bleiben noch zwei Monate Zeit. Die Organisatoren blicken auf das vergangene Jahr und berichten über den Stand der Dinge.

Gleichsam mühselig und fruchtbar ist der Versuch, etwas bewirken zu wollen. Die Sache, die man verändern möchte, ist zu Beginn meist diffus: „die Welt“ oder „das System“. Je länger man sich bemüht, desto klarer werden die Aufgaben und desto wahrscheinlicher die Erfolge. Das erste Greifswald International Students Festival (GrIStuF) steht unter dem Motto „Our World - Our Choice“. Es wird zeigen, dass wir sehr oft tatsächlich die Möglichkeit haben zu wählen, von persönlichen Belangen über nationale bis hin zu weltweiten Entscheidungen. In Greifswald wurde das Rad nicht neu erfunden, die Idee von Studentenfestivals ist bereits in vielen Städten auf fruchtbaren Boden gefallen: Trondheim in Norwegen, Dar es Salaam in Tansania oder Ilmenau in Thüringen. Jede Veranstaltung hat ihr eigenes Profil und doch eint sie alle ein Gedanke: „Wir wollen etwas verändern und gemeinsam können wir mit Sicherheit etwas verändern.“ Unsicher waren allerdings die ersten Wochen der Planung von GrIStuF. Auf der einen Seite standen großartige Ideen („Laden wir doch den Dalai Lama ein!“), auf der anderen Seite fehlte es an Erfahrungen („Ob man ihn per E-mail erreichen kann??“). Nach einer Weile wurden die Aufgaben geteilt, fortan arbeiteten kleine Gruppen jeweils an der Finanzierung, der Kulturplanung, der thematischen Vorbereitung und der Öffentlichkeitsarbeit. Ehemalige Teilnehmer anderer Festivals erfuhren per E-Mail von der Idee und GrIStuF wurde aus seiner Anonymität geholt. Obwohl Prüfungen und Urlaub das Team in den Semesterferien stark dezimierten, brachte der Sommer viele erfreuliche Entwicklungen: der Bundeskanzler unterstützte das Festival mit 10.000 DM; Ministerpräsident Ringstorff übernahm die Schirmherrschaft; die Universität stellte dem Verein Räumlichkeiten und Büroausstattung zur Verfügung; Finanzanträge gingen an Stiftungen und Ministerien; erste Referenten wurden eingeladen. Im Herbst standen einige der Teilnehmer bereits fest: Als Diskussionsleiter bereiten sie die thematische Arbeit vor und leiten die Gruppen während des Festivals. So kommen den dreißig deutschen Organisatoren etwa fünfzig Studenten aus anderen Ländern zu Hilfe. All das ist nur möglich durch E-mail und Diskussionsforen. Auf der Homepage des Festivals www.gristuf.org nutzen die Teilnehmer die Chance, sich im Vorfeld des Treffens mit den neun Themen auseinanderzusetzen. Wie sonst könnte Jovin aus Singapur entdecken, welche Erfahrungen Edith aus Mexiko mit der Globalisierung gemacht hat? Die ersten Bewerbungen trafen im November ein, der offizielle Startschuss war gefallen, die Arbeit jedoch wurde nicht weniger. Im Gegenteil!

Referenten wollten eingeladen werden. Denn der Kern des Festivals ist natürlich die Arbeit in den Diskussionsgruppen, wichtige Impulse kommen von internationalen Experten. Mit ihren Vorträgen liefern sie reichlich Diskussionsstoff: Der Aussteiger und Überlebenskünstler Rüdiger Nehberg berichtet über seine Arbeit in Südamerika. Seit Jahren kämpft er für die Rechte der Yanomami in Brasilien. Evans Oma Hunter kommt aus Ghana und bedient sich der Kunst mittels Bühne, Film und Buch, um an Frieden und Verständigung zu erinnern. Er ist Gründer und Superintendant des „International Awareness Theatre“, Vizepräsident des International Theater Institute (ITI) in Ghana, Vorstandsmitglied des Afrikanischen Theaters für Entwicklung, Nationaler Koordinator von UNESCO und hat Bühnen und Schau(spiel)plätze der ganzen Welt gesehen. Uri Avnery, diesjähriger Alternativ-Nobelpreis-Träger, trat mit 15 Jahren der jüdischen Untergrundorganisation Irgun bei, kämpfte gegen die britische Mandatsmacht und für die Unabhängigkeit Israels. Später sagte er sich von der Irgun los wegen deren radikaler anti-arabischer Haltung und setzt sich seitdem für den Ausgleich mit den Palästinensern ein. 1992 gründete er die Friedensbewegung „Gush Shalom“. Dr. Peter Heine ist Islamwissenschaftler, Philosoph, Ethnologe und Direktor des Instituts für Asien- und Afrikawissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin. Bekannt wurde er durch Publikationen in zahlreichen Zeitungen, durch die Veröffentlichung verschiedener Bücher, z.B. „Der Islam auf dem Weg ins 21. Jahrhundert“, sowie durch Auftritte in Funk und Fernsehen. Zoë Redhead ist die Direktorin von „Summerhill“. Das humanitäre Konzept dieser Schule stieß auf besonders viel positive Resonanz während der wilden 60er. Damals kam die antiautoritäre Erziehung in Mode, auf die sich „Summerhill“ jedoch nicht reduzieren lässt. Es geht vielmehr darum „Schule kindergeeignet zu machen – nicht die Kinder schulgeeignet.“ Dies sind nur einige der Referenten, denen man beim GrIStuF begegnen wird.

Interesse für die neun Themen des Festivals gibt es auf der ganzen Welt. Sie hängen untrennbar zusammen und weisen auf die Probleme hin, mit denen die Menschheit sich konfrontiert sieht: „Nachhaltige Entwicklung“ betrifft alle Nationen, denn es geht darum, wie wir Menschen mit den Ressourcen umgehen, die uns zur Verfügung stehen. Wenn wir es richtig machen, können wir und auch die folgenden Generationen von den Zinsen leben; schlagen wir einen anderen Weg ein, wird das Kapital bald aufgebraucht sein. „Globalisierung“ ist für viele eine Chance, um über Ländergrenzen hinweg Dinge zu verändern, andere weisen auf berechtigte Gefahren dabei hin. Lässt sich ein Mittelweg finden, sodass jedem Menschen auch die Vorteile von weltweiter Kooperation zugute kommen? Denn letztendlich ist diese nur möglich, wenn wir „Frieden schaffen und Konflikte lösen“, von denen es immer noch mehr als genug auf der Welt gibt. Und wo immer Krieg herrscht, werden die „Menschenrechte“ meist mit Füßen getreten. Leider jedoch nicht nur dort. „Kulturelle und Religiöse Vielfalt“ gelten oft als Ursache für Spannungen, besonders an Orten, an denen Kulturen aufeinander treffen. Doch gerade hier liegt auch eine unerschöpfliche Quelle für Reichtum und Wissen. Dieses Wissen für alle zugänglich zu machen, ist eine wichtige Aufgabe für „Neue und unabhängige Medien“. Das Internet bietet eine vorher ungekannte Freiheit und spaltet gleichzeitig die Welt weiter in zwei Klassen auf: Der Großteil der Menschheit hat nicht das Glück, den Wohlstand und die Freiheit der sogenannten Ersten Welt genießen zu können. Unter anderem sorgt „Die Verschuldung der Dritten Welt“ dafür, dass sich an diesem Zustand auf lange Sicht nicht viel ändern wird. Der Ruf danach, den Entwicklungsländern ihre Schulden zu erlassen, ist deshalb immer öfter zu hören. Das kann nur der erste Schritt sein auf dem Weg zu einer gesünderen Weltordnung, andere Herausforderungen stehen schon Schlange. Technologie und Wissenschaft können uns helfen, diese zu bewältigen. Trägt zum Beispiel die Anwendung der „Gentechnik“ zur „Globalen Gesundheit“ bei, dann gehören Krankheiten wie AIDS oder Parkinson vielleicht bald der Vergangenheit an. Mehr Wissen über die Natur bringt mehr Verantwortung mit sich. Provozierende Fragen kommen auf uns zu: Warum sollten wir noch „Glückliche Kinder erziehen“, wenn es irgendwann möglich sein wird, sie nach Wunsch zu „züchten“?

So viele Fragen! Da wird mancher Abwechslung und Erholung suchen. Und er wird sie finden: Kultur und Spaß können sich sehen lassen beim GrIStuF! Neben den Diskussionsgruppen gibt es fünf Workshops: Zusammen mit einheimischen Künstlern kreieren Teilnehmer eine Skulptur, die das Festival überdauern soll, andere Studenten werden in die Technik der Tanz-Improvisation eingeführt. Daneben gibt es Gruppen für Musik, Grafik und Theater. Mit einer „Come Together Party“ werden die Ankömmlinge am 1. Juni in Greifswald begrüßt. Am Sonntag, den 2. Juni, gibt es die große Eröffnungsveranstaltung, während man sich am Montag auf das „Treffen der Kontinente“ freuen darf. Hier präsentieren die Teilnehmer ihre Kultur und ihre Heimat. Die Bühne gehört Tänzern aus Ghana und Indien, verschiedene Bands sorgen für die Musik, während Gäste und Gastgeber gemeinsam kulinarische Köstlichkeiten anbieten. Am Dienstag trifft man sich nach den Diskussionen abends bei der Jazznacht wieder. Ein Höhepunkt der Woche ist der „Experience Day“ am Mittwoch: Ausflüge in die Umgebung stehen ebenso an wie ein interkulturelles Jugendsportfest. Abends ist immer was los, die Studentenclubs der Stadt werfen all ihre Erfahrung in die Waagschale, um die Woche so aufregend wie möglich zu machen. Von Kino über Konzerte und Disco bis hin zu Lesungen ist alles dabei. Bevor die Gäste am Sonntag wieder abreisen, gibt es auf der Abschlussparty „World United“ noch eine Gelegenheit zur Verabschiedung.

Teilnehmer aus über 50 Nationen werden am 9. Juni 2002 wieder gen Heimat fahren. Was nehmen sie mit? Schon in ihren Bewerbungen haben sie gemutmaßt, mit welchen Gefühlen sie Greifswald verlassen werden: „Das Festival ist vorüber, aber die neuen Freundschaften könnten ewig halten!“ schreibt jemand aus Tschechien. „Die Familie, die mich aufgenommen hat, war sehr gastfreundlich und zerstörte den Eindruck, den ich vorher gehabt hatte, dass alle Weißen Rassisten wären“, erzählt ein Mädchen aus Kamerun. Und eine junge Frau aus Estland freut sich: „Die Welt ist tatsächlich ein wundervoller Ort! Wenn nur jeder mindestens einmal im Leben solch eine Erfahrung machte, würde die Zahl der Rassisten und anderer engstirniger Menschen ziemlich schnell radikal abnehmen.“

Und wie beteiligen sich die Einwohner der Stadt an dem Festival? Sie sind Gastgeber (engl.: Hosts) und bringen die Studenten aus aller Welt bei sich unter. Diese Lösung hat für beide Seiten Vorteile: Die Gäste wohnen in angenehmer Atmosphäre und haben in ihren Hosts zugleich einen „Fremdenführer“ für die Woche. Den Greifswaldern bietet sich die einmalige Chance, ein Teil von der weiten Welt zu Hause zu haben. Da ist genügend Zeit für ausführliche Gespräche, gemeinsames Kochen und um wenigstens ein paar Brocken der fremden Sprache aufzuschnappen. Den Jugendlichen Greifswalds fällt noch eine andere Rolle zu: Sie mischen kräftig mit bei der Organisation des Festivals, kümmern sich um das Jugendsportfest und stellen ein Radioprogramm auf die Beine. Andere zeigen Graffiti-Kunst oder begeistern mit Breakdance-Einlagen.

Feiern und Diskutieren allein lösen keine Probleme. Wie schafft man es, dass solch ein Treffen wirkliche Veränderungen nach sich zieht? Indem man es als Grundstein für weitere Initiativen nutzt. Kaum jemand wird unbeeindruckt bleiben von einem Ereignis, zu dem sich 450 Menschen aus allen Ecken der Welt treffen. „Wer einmal das Erlebnis von gemeinsamer Freude gemacht hat, wird nie wieder eine Waffe in die Hand nehmen können, um diesen Frieden zu zerstören.“ schreibt ein Mädchen aus Russland dazu. Als Ergebnis von GrIStuF soll am Ende ein Brief an die UNO aufgesetzt werden, ein Schreiben mit dem Fazit einer Diskussionsgruppe; ein tieferes Verständnis dafür, was das Wort „nachhaltig“ bedeutet; weniger Angst vor der Gentechnik und größeres Bewusstsein für ihre Möglichkeiten – das können andere Erfolge sein. Ein dauerhaftes Jugendradio in Greifswald ist ebenso ein Ziel des Festivals wie die Unterstützung eines Hilfsprojektes für Kinder in der Dritten Welt. Das Motto des GrIStuF lautet „Our World - Our Choice“. Wir alle sind verantwortlich für die Welt, in der wir leben, und wir alle haben die Wahl, wie wir unser Leben gestalten wollen, ausgehend von den persönlichen Herausforderungen bis hin zu globalen Aufgaben. Vom 1. bis 9. Juni 2002 haben in Greifswald viele Menschen die Gelegenheit, diese Wahl zu treffen.


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