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Reichtum contra Hunger

Einige Gedanken zum Welternährungstag

Am 16.10. war Welternährungstag. Und wieder wird uns - zumindest einmal im Jahr – bewußt, dass auf unserer Welt so ziemlich alles ungleich verteilt ist – auch die Nahrungsmittel. Nahrung = Menschenrecht“, „Ernährungssouveränität“, „Nahrungssicherheit“ – das sind gut klingende Schlagworte, die in diesem Zusammenhang häufig benutzt werden. Die Zahlen aber sprechen eine ganz andere Sprache: laut Angaben der Welternährungsorganisation FAO litten im vergangenen Jahr 828 Millionen Menschen an Hunger und Unterernährung. Das sind mehr als ein Zehntel der Weltbevölkerung. Jedes Jahr sterben 18 Millionen Menschen an Hunger. 20.000 Kinder verhungern täglich. Die Masttiere in den hochentwickelten Industrienationen aber verzehren fast die Hälfte des weltweit produzierten Getreides. Die Erde könnte genug Nahrungsmittel für uns alle produzieren - trotz wachsender Bevölkerungszahlen. Ist also alles nur eine Frage der Verteilung? Aber wieviel von unserem Kuchenstück sind wir denn bereit abzugeben? Und welche Auswirkungen hat die Wirtschaftspolitik „unserer“ Industrienationen auf die Länder des Südens, betrachtet mensch nur einmal den Bereich Landwirtschaft und Ernährung? Durch die Öffnung der Märkte, den Schuldendienst und die Konzentration auf Exportkulturen sind mittlerweile auch traditionelle Agrarländer wie Mexiko auf Nahrungsmittelimporte angewiesen. Die diesjährige Hungerkrise in Zentralamerika ist unter anderem eine Folge der niedrigen Kaffeepreise auf dem Weltmarkt. Viele Kaffee-Fincas werden nicht mehr bewirtschaftet, weil die Produktionskosten höher sind als der Verkaufserlös des Rohkaffees. Die Folge: Tausende von Tagelöhnern, die normalerweise auf den Kaffeeplantagen arbeiten, haben ihren Unterhalt verloren und hungern. Die Spirale der Öffnung der Märkte, des Schuldendienstes, der Konzentration auf Exportprodukte, der Überproduktion und des Verfalls der Weltmarktpreise dreht sich auch hier. Hinzu kommt, daß der größte Teil des Gewinns am Kaffee von den Röstereien eingestrichen wird. Die aber befinden sich zumeist in den Kaffee importierenden Ländern. Dies sind Beispiele für die Folgen einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung, in der die reichen Industrienationen des Nordens die verarmten Länder des Südens in die Zange nehmen. In die Zange genommen werden diese jetzt aber auch zunehmend durch die Bemühungen um eine weitere Liberalisierung des Welthandels, ein Prozeß, in dem nicht gerade mit fairen Karten gespielt wird. Die Welthandelsorganisation WTO hat in diesem Prozeß eine zentrale Rolle inne. Entscheidend für den Bereich Landwirtschaft und Ernährung ist dabei das WTO-Agrarabkommen.

WTO-Agrarabkommen und Auswirkungen auf die Ernährungssituation in den Ländern des Südens

Das WTO-Agrarabkommen (Agreement on Agriculture, AoA) wurde 1994 im Rahmen der Uruguay-Runde des GATT auf der Basis des Blair-House-Abkommens beschlossen und trat am 1. Januar 1995 in Kraft. Das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen von 1948) war und ist die wichtigste Säule des Welthandels der Nachkriegszeit. In ihm werden die „Spielregeln“ des internationalen Handels mit Gütern festgelegt. Zwischen 1949 und 1994 gab es insgesamt 8 Verhandlungsrunden zum GATT, die sich teilweise über mehrere Jahre erstreckten. In diesen Verhandlungsrunden konnten die Vertragsstaaten durch gegenseitige Angebote von Handelsliberalisierungen einen bedeutenden Abbau von Zöllen für den Warenhandel erreichen. Gleichzeitig mit der abnehmenden Bedeutung von Zöllen wuchs aber bei vielen Staaten die Tendenz, nicht-tarifäre Handelshemmnisse (z.B. Importquoten, Kontingente, Subventionen) einzusetzen, um die heimische Wirtschaft zu schützen. In der letzten Verhandlungsrunde zum GATT (der sogenannten „Uruguay-Runde“) von 1986 bis 1994, in der es um den Abbau der nicht-tarifären Handelshemmnisse ging, wurden auch traditionelle „Ausnahmefälle“ wie der Agrar- und der Textilbereich unter die GATT-Regeln gestellt. Diese letzte GATT-Runde war die Geburtsstunde der Welthandelsorganisation WTO. Sie wurde am 1.1.1995 gegründet – an dem Tag, an dem auch das Agrarabkommen in Kraft trat. Traditionell spielte die Landwirtschaft bei den GATT-Verträgen eigentlich keine Rolle. Es war Konsens, daß Landwirtschaft und Agrarhandelspolitik von den einzelnen Staaten autonom geregelt werden sollten. Ein wesentlicher Grund dafür, daß sie dennoch in die WTO/GATT-Verhandlungen mit einbezogen wurden, liegt in der Landwirtschaftspolitik der 80er und 90er Jahre in der EU und den USA. In diesem Zeitraum nahm dort die Überproduktion an Nahrungsmitteln – hervorgerufen durch eine verfehlte Agrarpolitik – gigantische Ausmaße an. Die landwirtschaftliche Produktion wurde massiv subventioniert, so daß Produkte, die ehedem vom Verkaufspreis über dem Weltmarktniveau lagen, plötzlich billiger als die eigentlichen Produktionskosten wurden, auf dem Weltmarkt verkauft werden konnten und z.T. die lokalen Märkte in den Entwicklungsländern zerstörten. Es entstand ein regelrechter „Subventionswettlauf“ zwischen der EU und den USA, der bereits mehrfach die Ausmaße eines ernst zu nehmenden Handelskrieges anzunehmen drohte. 1992 legten die EU und die USA ihren Handelsstreit im sogenannten Blair-House-Abkommen nieder. Am Zustandekommen des Blair-House-Abkommens waren die Entwicklungsländer nicht beteiligt, was sich nun auch in den Regelungen des Agrarabkommens widerspiegelt. Denn dieses wurde ja auf der Grundlage des Blair-House-Abkommens beschlossen. Das Agrarabkommen ist – anders als die GATT-Verträge – kein reines Freihandelsabkommen, sondern ein sehr umfangreicher Katalog von Handelsbeschränkungen, die unter genau definierten Umständen zulässig sind. Das Agreement on Agriculture verfolgt drei Ziele (siehe auch Infobox 1):
a) Abbau von Zöllen und Regelung des Marktzugangs
b) Abbau von internen Stützungsmaßnahmen
c) Abbau von Exportsubventionen

Abbau von Zöllen und Regelung des Marktzugangs

Die Zölle sollen in den Industrieländern durchschnittlich um 36% gesenkt werden, einzelne Zölle nur um 15%. Das führt dazu, daß unwichtige Zölle stärker gesenkt werden können, um wichtige Zölle möglichst wenig senken zu müssen. Der Marktzugang soll dadurch erreicht werden, daß mengenmäßige Beschränkungen und variable Zölle in feste Zölle umgewandelt werden und diese dann gesenkt werden. Außerdem muß es einen Mindestmarktzugang zu Vorzugszöllen für eine Importmenge geben, die 5% des inländischen Konsums entspricht. Da die Grundnahrungsmittel in den Entwicklungsländern aber meist durch kleinbäuerliche Landwirtschaft erzeugt werden und viele Kleinbauern überdies Subsistenzwirtschaft betreiben, wird nur ein geringer Teil der konsumierten Ware tatsächlich offiziell „gehandelt“. Deswegen entsprechen diese 5% Importmenge einem wesentlich höheren Anteil der in diesen Ländern tatsächlich gehandelten Ware. Diese Mindestimportmenge von 5% hat also in den Entwicklungsländern eine wesentlich größer Auswirkung als in den reichen Industrienationen.

Abbau von internen Stützungsmaßnahmen

Als Grundlage für den Abbau der internen Stützungsmaßnahmen dient ein Durchschnittswert, das sogenannte AMS (Aggregate Measurement of Support). Dies muß in den Industrienationen um 20% gesenkt werden. Allerdings müssen nur Subventionen gekürzt werden, die „Auswirkungen auf den Markt“ haben. Unbehelligt bleiben Stützungsmaßnahmen, die angeblich vom Markt „abgekoppelt“ sind, zum Beispiel Unterstützung für Forschung, Ausbildung und Vermarktung, Regionalprogramme, ländliche Infrastrukturmaßnahmen und sogar direkte Einkommensbeihilfen! Subventionen, die „erlaubt“ sind, werden in der sogenannten „green box“ zusammengefaßt. Die „green box“-Subventionen werden ergänzt durch Zahlungen, die nach dem Blair-House-Abkommen erlaubt sind („blue box“). Diese Regelungen bilden eine hervorragende Hintertür, um „unerlaubte“ Subventionen in „erlaubte“ umzuwandeln. Die USA haben schon reagiert und alle landwirtschaftlichen Subventionen von mengen- oder preisabhängigen Zahlungen auf direkte Einkommensbeihilfen umgestellt („green box“). Die EU versucht dasselbe. Dass dieser Weg für die Entwicklungsländer nicht gangbar ist, ist klar, denn all die „erlaubten“ Regelungsmechanismen (z.B. direkte Einkommensbeihilfen) kosten ungeheuer viel Geld, was die Entwicklungsländer ja bekanntlicherweise nicht haben. Die kostengünstigeren Maßnahmen hingegen (z.B. Importmengenbeschränkungen zugunsten der einheimischen Landwirtschaft) sind „verboten“ oder werden schrittweise reduziert. Hinzu kommt, daß in den Entwicklungsländern häufig gar keine Subventionen in den landwirtschaftlichen Sektor fließen, sondern im Gegenteil, dieser sogar hoch besteuert wird, um damit andere wirtschaftliche Sektoren zu finanzieren.

Abbau von Exportsubventionen

Die Exportsubventionen, mit denen die Industrieländer ihre Erzeugerpreise unter das Weltmarktniveau drücken, müssen ebenfalls gesenkt werden. Außerdem muß die Menge der subventioniert exportierten Waren gesenkt werden. Auch hier reagieren die Industriestaaten und besonders die EU darauf, indem sie die direkten Exportsubventionen in erlaubte „green box“-Subventionen (z.B. direkte Einkommensbeihilfen) umwandeln. Zusammenfassend ist zu sagen, daß das Agrarabkommen vor allem die Interessen der reichen Industrienationen berücksichtigt. Es enthält Regelungen, die vielleicht geeignet sind, das Problem der Überschußproduktion und der wachsenden Staatsausgaben einer exportorientierten Intensivlandwirtschaft mit hohem Verbrauch an nicht erneuerbaren Ressourcen in den Griff zu bekommen. Es fördert aber weder Investitionen in den landwirtschaftlichen Sektor noch den Aufbau lokaler und regionaler Märkte. Dies wäre jedoch für die Ernährungssicherheit in den Entwicklungsländern dringend notwendig. Für die Entwicklungsländer gelten im Prinzip die gleichen Regelungen wie für die Industrienationen: Abbau von Importbeschränkungen sowie Abbau von Exportsubventionen und anderen Formen der staatlichen Unterstützung - zwar mit längeren Fristen für die Umsetzung und in prozentual geringerem Maße - aber bei viel niedrigerem Ausgangsniveau. So hat das Agrarabkommen dazu geführt, daß die Entwicklungsländer ihre Märkte für Agrarprodukte aus dem Norden weiter öffnen mußten, während die Reduktion der Zölle in den Industrieländern nicht zu einem besseren Marktzugang für die Entwicklungsländer geführt hat. Die Ernährungssicherheit der Kleinbauern in den Ländern des Südens aber ist nicht mehr gewährleistet. Welche Chance hat beispielsweise ein thailändischer Reisbauer gegen Billigimporte von Reis aus den USA? Die Kleinbauern sind gezwungen, ihre Landwirtschaft aufzugeben. Damit aber verlieren sie ihre Lebensgrundlage. Außerdem hängt in den Ländern des Südens meist die komplette Wirtschaft des Landes und damit die Ernährungssicherheit der gesamten Bevölkerung an der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Nach einer Studie des philippinischen Agrarforschungsinstitutes KMP wird das WTO-Agrarabkommen rund 500.000 Reisbauern, 62.000 Getreidebauern, mehr als 450.000 Zuckerarbeitern und 40.000 Gemüsebauern auf den Philippinen die Existenzgrundlage entziehen, wenn die Liberalisierungsschritte im Agrarsektor umgesetzt sind. Die anderen Entwicklungsländer bilden da sicher keine Ausnahme. Die WTO hat mit dem Agrarabkommen ein gutes Instrument für die Interessen der reichen Industriestaaten geschaffen - vorrangig für die Interessen der USA und der EU. Ihnen ist bestimmt nicht daran gelegen, ihre Märkte für die Produkte aus dem Süden zu öffnen. Aber sie suchen neue Absatzmärkte für ihre Produkte. Und die Subventionen...? Wer würde sich schon freiwillig dazu bereit erklären wollen, den einheimischen Bauern den Geldhahn zuzudrehen??? Das würde wohl den sozialen Frieden in unseren Ländern erheblich stören. Reformen in der Landwirtschaft sind ebenfalls undenkbar. Also lassen wir alles so weiter laufen wie bisher, schichten die Subventionen ein wenig um und betreiben die Liberalisierung der Märkte der Entwicklungsländer - Tschuldigung - die Liberalisierung des Welthandels weiter. Und die Kleinbauern im Süden sind ja Gott sei Dank weit weg... Wie war das doch so schön: Nahrung ist keine Handelsware, Nahrung ist Menschenrecht. In diesem Sinne: Guten Appetit!

Sylvia Thiele


Infobox 1:

Agreement on Agriculture - AoA

Übereinkommen über die Landwirtschaft vom 15. April 1994

Inhalt: Vereinbarungen zum Handel mit landwirtschaftlichen Produkten. Liberalisierungsverpflichtungen des Abkommens: Marktzugang (Umwandlung von mengenmäßigen Beschränkungen und variablen Zöllen in feste Zölle); Mindestmarktzugang (Vorzugszölle für mind. 5% des inländischen Verbrauchs); Abbau von Zöllen, Stützungsmaßnahmen und Exportsubventionen

  Industrieländer Entwicklungsländer*
Zeitraum 1995-2000 1995-2004
Abbau von ...    
a) Zöllen    

Durchschnitt aller Zölle

-36% -24%

einzelne Zölle

-15% -10%
b) internen Stützungsmaßnahmen    

Aggregiertes Stützungsmaß (AMS), Ausnahme "green box" und "blue box"-Maßnahmen

-20% -13%
c) Exportsubventionen    

Wert

-36% -24%

Menge

-21% -14%

*Ausnahme: LDCs (Least developed countries)


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