Im Anschluß an den Genuagipfel stieß der brutale Polizeieinsatz auf starke Kritik im In- und Ausland. Ernste Konsequenzen ergaben sich jedoch für keinen dafür Verantwortlichen
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Hauptsache die Kurse steigen - Kein anderes Bild verdichtet die Ereignisse in Genua mehr als dieses Bild. Der 23-jährige Carlo Guliani stirbt auf den Straßen von Genua. Am Bildrand rattert der Kapitalismus munter weiter.
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Genua - „a bad dream“?

Augenzeugenbericht von Ulrich Brand

Kurz nachdem wir über die maßlose Gewalt in Göteborg berichteten, stellten die Ereignisse in Genua diese noch in den Schatten. Ein Demonstrant wurde erschossen, hunderte verprügelt und gefoltert. Ulrich Brand arbeitet als Wissenschaftler an der Universität Kassel im Fachbereich Globalisierung und Politik. Er ist im Bundeskongreß entwicklungspolitischer Organisationen tätig. Er nahm vor einigen Wochen an den „Greifswalder Entwicklungspolitischen Bildungstagen“ teil und hielt einen Vortrag zur Globalisierungskritik. Wir dokumentieren sein Gedächtnisprotokoll von den Ereignissen in Genua.

Zu siebt nahmen wir am Samstag, 21. Juli an der Großdemonstration in Genua während des G 8-Treffens teil. Wir entschlossen uns gegen 15:30 Uhr mit dem Demonstrationszug durch das Zentrum zu laufen. Die Stimmung war sehr gut, trotz der Vorfälle vom Freitag. Entfernt waren erste Auseinandersetzungen mit Rauchbomben zu beobachten, jedoch in sicherer Entfernung der Demonstrationsroute. Wir schlossen uns einem Teil des Demonstrationszuges an, in dem auch eine Gruppe italienischer Gewerkschafter mitliefen und kamen so an eine Strassenkreuzung im Zentrum der Stadt . Plötzlich wurde sowohl hinter als auch vor uns Tränengas in die Menge geschossen. Unter den Demonstranten brach Panik aus. Ich blieb mit zwei anderen Mitgliedern meiner Gruppe zusammen, wir wollten zurück gehen. Dann entdeckten wir eine offene Haustür und suchten zusammen mit etwa einhundert anderen Menschen Schutz. Wir waren alle relativ ruhig, damit beschäftigt, mit Wasser die Augen auszuwaschen und das Gesicht abzuwischen. Eine Hausbewohnerin öffnete die Tür und bot Hilfe an. Nach etwa 20 Minuten ging die Meldung durch den Flur, dass unten die Polizei stehe und uns rauslassen würde. Wir gingen hinunter und im Erdgeschoss - ich dachte an überhaupt nichts Böses –riss mich plötzlich ein wütender Polizist an meinem schwarzen T-Shirt, zeigte auf das darauf abgebildete Porträt von Marcos, und schrie: „Terrorista“. Ich versuchte weiter zu gehen, wurde aber festgehalten und musste dann meinen Ausweis zeigen, der mir sofort abgenommen wurde. Etwa 5 Minuten lang wurde ich im Hauseingang festgehalten, meine beiden Begleiterinnen mussten weitergehen, im Flur hinter mir wurden Leute geprügelt. Ich musste den Rucksack öffnen, er wurde auf den Boden geworfen, zwei Kniebandagen, Fotoapparat, den Rucksack selbst und eine Uhr sah ich nicht wieder. Zu zweit wurden wir festgenommen, ein Italiener (ich nennen ihn Massimo) und ich. Wir waren diejenigen gewesen, die schwarze Kleidung trugen: er war ganz in schwarz gekleidet, ich trug ein schwarzes Marcos- T-Shirt, blaue Hose und Turnschuhe. Vor einem Polizeiwagen mussten wir auf den Boden knien und uns wurden Handriemen angelegt. Mit einem Kombi wurden wir in etwa 5 Minuten zu einem Gebäude in der Innenstadt gefahren. Man spürte bereits die Wut und den Hass der Polizisten, Massimo wurde permanent mit einem Polizeiknüppel geschlagen, mein „Nachbar“ war zahmer. Dann wurden wir in das Gebäude geführt. Der Polizist neben mir drohte, wenn ich fliehen würde, würde er mich umbringen (I will kill you). Dann summte der hinter mir laufende Polizist ein Lied, worauf der neben mir fragte: „Do you know this song? No? It´s a fascist song.“ Vor dem Gebäude standen zig uniformierte und zivil gekleidete Polizisten. Drinnen wurden wir in einen schmutzigen Raum ohne Möbel und mit Kachelboden geführt und ich wusste sofort, was jetzt passieren würde. Wir wurden auf den Boden geworfen, erst Massimo und danach ich verprügelt, dabei die ganze Zeit in Handschellen gefesselt. Um mich herum standen etwa 10 bis 15 Polizisten, etwa 5 von ihnen kamen nacheinander an mich heran und traten zu: Kopf, Gesicht, Rücken und Beine. Es war ein hasserfülltes Treten. Gleich zu Beginn wurde mir die Brille abgenommen, neben mich gelegt und jemand trat drauf. Dann lagen wir – die ganze Zeit gefesselt - in Ungewissheit auf dem Boden, uns wurden sie letzten Sachen abgenommen (Geld, Adressen, Gürtel), wobei zwei Hosentaschen nicht geöffnet, sondern aufgerissen wurden. Die Schuhe wurden mir ausgezogen, ich bekam sie auch nicht wieder, sondern war die nächsten etwa 15 Stunden nur auf Socken. Es kam irgendwann ein Arzt, der meinte, jetzt sei alles in Ordnung. Er leuchtete in die Augen und maß den Puls. Irgendwann wechselten recht schnell die Leute im Raum, der Arzt und sein Gehilfe waren weg, es kamen Polizisten mit schwarzen Handschuhen: die zweite Runde. Diesmal wurde mir das T-Shirt zerrissen, wir wurden – wie die gesamte Zeit – beschimpft, und nochmals mit Fäusten geschlagen und getreten. Dann wurde mir das T-Shirt abgeschnitten und ein neues über den Kopf gezogen – und zwar eines mit EZLN-Aufdruck. Doch dies wurde mir wieder abgenommen und durch ein farbiges ersetzt. Darüber war ich froh, denn ich hoffte, es würde in den nächsten Stunden „deeskalierend“ wirken. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt extreme Angst, da die Polizisten alles mit uns hätten machen können. Hass und Willkür waren überwältigend. Falls Massimo herausgeführt worden und ich alleine geblieben wäre, hätte ich wohl Panik bekommen. Plötzlich wurden wir rausgeführt, auf dem Weg zum Auto nochmals geschlagen, mein Kopf schlug gegen eine Wand. Dann ging es – in getrennten Autos – mit hoher Geschwindigkeit in ein Sammelgefängnis. Wie ich später erfuhr, war es Bolzaneto. Die Handriemen wurden abgenommen und ich wurde in eine Zelle geführt, auf dem Flur standen Polizisten wieder Spalier, von denen einige zuschlugen und -traten. Ich wurde mit den Worten „trattamento speciale“ zu einer Zelle geführt und bekam Angst, dass es gleich so weiter ging. Es bezog sich aber wohl auf die vorherige „Behandlung“. In der Zelle (etwa 6x6 Meter) waren wir zu acht und mussten mit dem Gesicht zur Wand stehen, die Nase an die Wand, die Hände nach oben. Die Aufpasser schrien dauernd „alto gli mani!“ (die Hände hoch), gingen immer wieder durch die Zelle und zwangen die Gefangenen, die Hände noch höher zu strecken, hämische Rufe waren etwa „Comunista“, „Bastardi“, „global“, „Manu Chao“ u.a. Das Lieblingswort der Polizisten war „Cazzo“ (Schwanz). Irgendwann ließ einer von dort Tränengas in den Raum ziehen, sich am Husten der Gefangenen erfreuend. Nach etwa zwei Stunden, es war noch hell, musste ich raus (wieder das Spießrutenlaufen über den Flur) und nochmals etwa 30 Minuten warten, dann kam ich zum Erkennungsdienst. Elektronischer Fingerabdruck, normale Fingerabdrücke, Fotos, Daten angeben. Übrigens sehr gut ausgestattet mit Computern; ein irischer Gefangener erzählte mir anschließend, dass er bezüglich seiner Personenangabe auf dem Bildschirm gesehen hätte, dass er vor einem halben Jahr die Zeitung „The Internationalist“ abonniert hätte. Beim Rausgehen wusch ich mir die Hände auf dem Hof als plötzlich ein Polizist neben mir stand, etwas sagte, mir etwas 20 cm vors Gesicht hielt und abdrückte: Es war Tränengas; glücklicherweise konnte ich mich wegdrehen und die Augen schließen. Abwaschen konnte ich nicht, weil sich gleich der nächste Polizist von der anderen Seite näherte und ich Angst vor einem weiteren Übergriff hatte. Es tat in den kommenden Stunden höllisch weh. Dann kam ich in dieselbe Zelle zurück, wo mittlerweile nicht mehr acht, sondern über dreißig Leute standen, eine Frau sah ich auch. Es wurde dunkel, neben mir standen ein Deutscher aus Stuttgart und ein Italiener. Wir konnten uns leise verständigen. Der Italiener wurde irgendwann rausgeholt und kam nach 15 Minuten stöhnend zurück – „trattamento speciale“. Man hörte immer wieder Schreie über die Flure von offenbar gefolterten Menschen. Es kamen immer wieder Leute rein, die mit einzelnen Gefangenen über Anwälte sprachen. Es herrschte eine absolute Unklarheit, wie lange ich wo bleiben würde, was mir zur Last gelegt wird. Dann passierte noch einmal die widerliche Sache mit dem Tränengas. Zusammen mit Massimo, wurden wir vor ein Büro geführt. Offenbar müsste es nun auch um unsere Anschuldigung gehen. Wieder Tritte und Knuffe auf dem Flur. Massimo musste mehrmals laut „Viva il Duce“ (Mussolini) sagen. Wir kamen aber direkt zurück in die Zelle ohne Verhör, Gespräch o.ä. Dann konnten wir uns nach Stunden zum ersten Mal auf den Boden setzen – mit schmerzenden Armen und Schultern. Nach zehn Minuten mussten wir allerdings wieder aufstehen, uns zur Wand drehen und wieder die Arme hoch halten. Der Raum leerte sich, offenbar wurden die Gefangenen entweder freigelassen oder weggebracht. Wir mussten wieder vor das Büro, kamen wieder nicht rein, jetzt aber in eine andere Zelle und unsere Sachen ausgehändigt. Die Zelle wurde von einem Sadisten überwacht, der nochmals schlug und peinigte. Wir mussten später aufrecht auf Knien sitzen, was höllisch schmerzte. Ich dachte aber, bald seien wir frei, malte mir schon aus, ob vor der Tür wohl Leute vom „Genua Social Forum“ seien, ob ich auf Socken zurück gehen müsste, hoffte, dass mich nicht Polizisten in die Stadt zurück fahren würden. Irgendwann, vielleicht nach einer weiteren Stunde, es war wohl nach Mitternacht, kamen wir in das Büro. Dort mussten wir alles mögliche unterschreiben, als ich etwas durchlesen wollte, wurde ich zur Eile getrieben. U.a. unterschrieb ich wohl, dass die Polizei mich gut behandelt hat. Dann noch mal zum Arzt (hier erfuhr ich, dass ich nicht frei kommen würde, sondern in ein Gefängnis), noch mal in die Zelle und schließlich – ohne Massimo – in Handschellen (zu zweit aneinander gekettet) in einen Bus mit Zellen für je vier Personen. Es ging im Sonnenaufgang los. Wohlgemerkt verließ ich Bolzaneto ohne Verhör und ohne Anklage. (Im Bus nickte ich mehrmals kurz weg und träumte mich sofort in ganz drastische Gegenwelten von Urlaub und ruhigen Szenen.) Nach etwa 30-45 Minuten Fahrt kamen wir im Gefängnis von Alessandria an. Beim Ein- und Aussteigen ließen es sich die Bewacher nicht nehmen, nochmals zuzuschlagen. Dann kamen wir zu sechst oder siebt in kleine Zellen, mussten einen Meter von der Wand entfernt stehen, durften uns nur mit zwei, später mit einem Finger abstützen. Hier bekam ich wieder Angst, weil über den Flur dauernd etwas von „german“ zu hören war und ich an die 1.200 DM dachte, die mir zu Beginn abgenommen worden waren und auf die die Polizisten evtl. scharf sein könnten und es mir im Gefängnis oder später mit Gewalt abnehmen wollten. Relativ spät kam ich dran (auf dem Weg von der Zelle zum Aufnahmebüro wurden wieder einzelne Leute geschlagen), im Aufnahmebüro saßen zwei offenbar Verantwortliche und standen noch mal acht bis zehn Polizisten. Ein Verantwortlicher zählte gerade mein Geld, was meine Befürchtung zu bestätigen schien. Einer direkt neben mir zischte mir immer wieder Sauereien ins Ohr. Ich sagte auf Englisch, dass ich auf das Geld verzichten würde, dass es keine Anklage gegen mich gäbe, dass ich einen Rechtsanwalt und mit der deutschen Botschaft sprechen wolle. Ich gab eine Nummer in Frankfurt an, doch die interessiert sie nicht. Statt dessen sollte ich auf einer Liste der deutschen Botschaft einen Anwalt ankreuzen. Warum ich denn in Genua gewesen sei. Weil ich an den friedlichen Protesten gegen das G 8-Treffen teilnehmen wollte; ich sei Mitglied einer Dritte-Welt-Gruppe in Frankfurt. „Stop talking, please.“ Von Richter war keine Rede, sondern von mindestens fünf Tagen Gefängnis. Eine für einen Rechtsstaat absurde Situation, wie ja die gesamt Zeit über schon. Aber es wurde noch nicht mal der Anschein eine geordneten Verfahrens erweckt. Immer noch herrschte Willkür – und Hass. Ich kam noch mal zum Arzt, dann in eine Zelle. Wir konnten duschen, bekamen Essen, wurden mit Bettwäsche und Geschirr eingedeckt, konnten uns ein Buch ausleihen (man mußte wählen zwischen Hofspaziergang und Buch). Der Tag verging, ich schlief immer wieder unruhig und sprach mit meinem Zimmerkollegen. Gegen Abend kam jemand und teilte uns auf Italienisch mit, dass ich frei sei. Zusammenpacken, dann zum „Auschecken“. Das Perfide war, dass teilweise dieselben Leute, die uns morgens noch verachteten, nun ganz freundlich waren. Zigaretten wurden angeboten, umtriebige, aber lockere Stimmung. Meinen Ausweis fanden sie nicht gleich, dann bekam ich aber sogar mein Geld zurück. Ein Polizist sagte: „Forget all. It was a bad dream. Zu siebt samt Polizeibegleitung gingen wir zum Ausgang, einer musste zurück, weil noch Sachen fehlten. Andere hörten, dass er oben wieder geschlagen wurde. Nach etwa 30 Stunden war ich wieder frei. Wir gingen etwa zwei Kilometer Richtung Alessandria, um einen Zug nach Genua zu nehmen. Dann hielt eine Frau mit Auto, die vom Genua Social Forum benachrichtigt worden war. Sie nahm uns mit nach Hause, ich telefonierte mit Frankfurt, wir warteten noch auf andere, die etwas später frei gelassen wurden. Dann ging es mit dem Auto nach Nervi bei Genua auf den Zug um 5:50 Uhr am Montagfrüh nach Mailand – bloß weg von Genua. Eine Platzwunde am Kopf ist am Verheilen, meine Kopfschmerzen gingen nach einer Woche weg, meine Blutsäcke unter den Augen, ein sog. Brillenhämatom, sind auch weitgehend verschwunden. Bis heute schmerzt mein linker Brustkorb, in den ich Tritte bekam. Rechtliche Schritte werde ich zusammen mit anderen ergreifen, sobald alle noch Inhaftierten draußen sind.

Ulrich Brand


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