Die "Ständige Vertretung" in Ostberlin (im Mai 1974 eröffnet) mit Günter Gaus an der Spitze stieß ständig auf reges Medieninteresse.
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Was bleibt sind Fragen?

Günter Gaus las aus seinen Memoiren im Literatursalon

Es ist schon ein kleines Ereignis, wenn eine geachtete Persönlichkeit wie Günter Gaus nach Greifswald in den Literatursalon kommt. Denn Gaus, bekannt geworden als Redakteur deutscher Tageszeitungen und Wochenzeitschriften wie der „Süddeutschen Zeitung“ und des „Spiegel“, las aus seinen noch unveröffentlichten Memoiren, die er Anfang nächsten Jahres veröffentlichen wird. Dabei ging er speziell auf seine Erfahrungen als Leiter der ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR ein. Diese Stellung ermöglichte ihm den Umgang mit bedeutenden Politikern des Ostblocks von Erich Honecker über Valentin Falin bis hin zu Leonid Breshnew. Und so war es nicht verwunderlich, dass der Lesesaal schon nach kurzer Zeit vollständig gefüllt war und zuletzt Besucher bis zur Ausgangstür stehen mussten, um vom Vortrag des Publizisten doch noch etwas mitzubekommen. Bis heute ist Gaus davon überzeugt, dass die Entspannungspolitik Willy Brandts, der Annäherung an die DDR mit kleinen Schritten, bei der er maßgeblich mitgewirkt hat, richtig war, linderte sie doch die Wahrscheinlichkeit eines offenen Konfliktes zwischen beiden Staaten und ließ hoffen, das Fernziel einer deutschen Einheit doch noch zu erreichen. Er hielt es daher für falsch, das diese mit Helmut Kohl als Bundeskanzler sehr zügig voran getrieben wurde, hatte die CDU als Regierungspartei doch seit Jahrzehnten zuvor jegliche Zusammenarbeit und die damit verbundene staatliche Anerkennung der DDR abgelehnt. Gaus selbst hatte noch 1989 eine „Deutschlandkonferenz der vier Siegermächte“ angeregt, in der beide deutsche Staaten eine eigene Rolle spielen sollten. So sieht er die Deutsche Einheit nicht als „Volksfest mit kostenlosem Bierausschank“ wie sie in der deutschen Öffentlichkeit immer gern dargestellt wird, sondern als historischen Vorgang dessen Ergebnisse nicht immer positive Auswirkungen für die Biografien ehemaliger DDR- Bürger hatte. Beeindruckend ist die Unvoreingenommenheit und Sachlichkeit, mit der Gaus historische Ereignisse und die beteiligten Akteure beurteilt. Interessant ist eine Begegnung Leonid Breshnews mit Helmut Schmidt in der beide während einer Staatenkonferenz ihre Erlebnisse und Gedanken während des Krieges schilderten. Breshnew, der zu dieser Zeit als junger Mann in der Ukraine in der Landwirtschaft tätig war und erst am Abend des 22. Juni an den verdunkelten Fenstern seines Heimatdorfes erkannte, was geschehen war. Er musste viele Opfer in der Familie beklagen und kam später als Angehöriger der Roten Armee nach Deutschland. Helmut Schmidt, der tagsüber „für sein Vaterland“ kämpfte und nachts von Selbstzweifeln gegenüber seinem Tun geplagt wurde. Er geriet später in alliierte Kriegsgefangenschaft. Für Gaus selbst war das Leben nach dem Zweiten Weltkrieg bis in das Jahr 1991 hinein „ein sonniger Tag“, der jäh durch eine plötzliche Krebserkrankung beendet wurde. Das bedeutete einen längeren Krankenhausaufenthalt und die Einsicht, sich mit der Endlichkeit des Lebens abzufinden. Bis dahin möchte Gaus aber noch das tun, was er der Welt von seinen Erfahrungen und Fähigkeiten noch geben kann. Dazu gehört auch die Weiterführung seiner Interviewreihe „Zur Person“ und die publizistische Tätigkeit als Herausgeber von Politikerporträts und Darstellungen aktueller gesellschaftlicher Themen. So war dieser Leseabend eine interessante Erfahrung, zumal Gaus zum Abschluss der Veranstaltung eine tatsächlich stattgefundenen persönliche Begegnung mit Marlene Dietrich schilderte. Diese hatte er Mitte der 60er Jahre auf Grund seiner journalistischen Arbeit in Paris getroffen. Eigener „jugendlicher Übermut“ verhinderte die einzige Aufzeichnung eines Interview in deutscher Sprache nach dem Krieg mit Marlene Dietrich, da sie die Fragen vorher einsehen wollte. Günter Gaus gab aber auch den Anwesenden noch die Gelegenheit Fragen zu stellen. Von Interesse war dabei die Einschätzung der Mitglieder des SED Politbüros, nach der diese auf Grund ihres Alters von Anfang an überfordert waren. Aber mehr noch die Tatsache, dass sie „Opfer ihrer eigenen Propaganda waren“ ist für Gaus der entscheidende Punkt ihres Scheiterns mit dem Sozialismus in der DDR. Es bleibt zu hoffen, dass Günter Gaus in geraumer Zeit wieder einmal den Weg nach Greifswald findet. Einen Grund gäbe es schon: sind doch kritische Stimmen in unserem Land eher spärlich vorhanden.

Daniel St.


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