Klares Wasser

Mit einem gerüttelt Maß an Selbstdisziplin gelingt es mir, die Augen zumindest so weit zu öffnen, wie es die Tränensäcke zulassen. Meine Zunge klebt, die Bronchien pfeifen leise. Zwischen meiner Stirn und außen liegt irgendein dünner Film. Durch das Fenster mit den angetrockneten Regenspuren kann ich einen Ausschnitt grauen Himmels mit Baum sehen, eine Birke, von einigen Blättern hat sie sich schon trennen müssen. Wolkenschichten ziehen unterschiedlich schnell und lassen mich frösteln. Ich ziehe mir die Decke näher ans Gesicht. Sie riecht fremd. Nicht fremd und frisch wie Herberge oder Besuch bei Oma, sondern fremd und gebraucht. Warm und verheißungsvoll war der Geruch beim Einschlafen, abgeschmackt und viel zu persönlich erscheint er mir jetzt. Ein flaues Gefühl beschleicht meinen Magen, ich sehne mich nach meinem eigenen Mief und dem Blau meiner Bettdecke. Er neben mir schläft noch. Seinen Arm hat er unter meinem Hals wieder weggezogen, hoffentlich noch bevor die Hand einschlafen konnte. Aber sein Gesicht ist mir noch zugewandt, ohne lesbaren Ausdruck. Vergeblich, einen Hinweis darauf zu suchen, ob es dies-mal anders ist. Meine Sinne scheinen taub, kein Gefühl verbindet mich mit meiner Lebenslage. „Aber mir hat sich doch ein Wunsch erfüllt.“, denke ich. Es ist das Urteil, das in der Luft liegt, da muß der Mut noch durch. Bis hierher kocht noch alles im selben Topf : Sehnsucht, Wollust, krautiges Gemüse und nackte Hühnchen, lieber nicht hinsehen, wer noch davon essen möchte. Willkür, nachträglich mit Argumenten versehen, bestimmt Töpfchen und Kröpfchen, dieselbe Methode wie am gestrigen Abend. Mir ist nicht nach Richtersprüchen. Vorsichtig drehe ich mich weg und erspähe meine Kleidungsstücke. Ich ziehe sie alle zu mir heran, dann setze ich meine warme Haut dem Herbst aus, der schon ins Zimmer gekrochen ist. Zuerst streife ich den Pullover über gegen die Kälte, dann die Unterhose, diesem leicht gereizten Kleben zwischen den Beinen etwas entgegenzusetzen. Sicher im Schneckenhaus meiner Schamverhüllung begebe ich mich wieder auf die Bühne. Aus dem fremden Badezimmerspiegel blickt mir ein altbekanntes Gesicht entgegen. Dieselbe strafende Miene, der meine schlechten Gewohnheiten noch nie entgangen, aber auch noch nie erlegen sind. Nein, mehr Richtersprüche brauche ich tatsächlich nicht. Selbstgerechter Trost, neue Reinheit stattdessen, sechs, sieben, achtmal schöpfe ich mit vollen Händen das kalte Wasser ins Gesicht, fühle es beruhigend zwischen meine Wimpern laufen, dann ist meine Haut wieder passend. Gottlob schließt mein Geschmack wenigstens Männer aus, deren Handtücher mit Weichspüler behandelt werden, so kann ich mich sogar noch lebendig rubbeln. Früh ist es noch, bemerke ich auf der Straße, gute Chancen, daß ich mich am Abend trotz allem wieder gut fühle. Es ist nur noch dieses gequälte Gefühl im Magen und daß ich nichts vorhabe. Wie schön, für dieses Haus den passenden Schlüssel zu haben, auch wenn die anderen alle noch schlafen. Erleichtert falle ich erstmal bäuchlings auf mein Bett.


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