Befreiung vom Nationalsozialismus
Likedeeler 16, Frühjahr 2005

Geschichte hautnah
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Der Schülerwettbewerb „Greifswald im Nationalsozialismus“  
Die Idee, einen Schülerwettbewerb zum Thema „Greifswald im Nationalsozialismus“ zu initiieren, führte vier ganz unterschiedliche Menschen zusammen, die dann über ein Jahr lang mit großem Engagement ihr Vorhaben verfolgten und dabei bewiesen, welche Bewegung auch durch ehrenamtliche Arbeit in einer Stadt wie Greifswald ausgelöst werden kann. Diese vier waren: Dr. Christine Dembski, Koordinatorin des Präventionsrates der Hansestadt Greifswald, Marian Kummerow, Student der Erziehungswissenschaft, Uwe Röser, Geschichtslehrer am Humboldtgymnasium und Michael Thoß, Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteams für demokratische Kultur MV. Letzterer umreißt hier Kontext und Genese dieses Projektes.  
 
In diesem Jahr jährt sich zum 60. Mal das Ende des 2. Weltkrieges und damit die Befreiung vom Faschismus. In diesem Zusammenhang sind landesweit unterschiedliche Projekte entstanden, die sich mit den Ursachen und Auswirkungen der nationalsozialistischen Herrschaftspolitik beschäftigen. In Greifwald wurde in Zusammenarbeit mit dem Präventionsrat der Stadt der Schülerwettbewerb „Greifswald im Nationalsozialismus“ ausgeschrieben, um das Ausmaß der nationalsozialistischen Politik auf lokaler Ebene zu beleuchten.
Spätestens seit der Wehrmachtsausstellung in Peenemünde wurde offensichtlich, dass auch in Vorpommern rechtsextreme Aktivisten versuchen den Erinnerungsdiskurs über die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft zu beeinflussen und zu verändern. Mit einfachen Slogans wie „Opa war in Ordnung“ oder „Mein Großvater war kein Mörder“ versuchen sie den rassistisch motivierten Vernichtungskrieg in Osteuropa zu verharmlosen. Statt sich mit dem gesamten Ausmaß dieser Politik und den Konsequenzen zu beschäftigen, werden gezielt einzelne Aspekte aus dem Zusammenhang gerissen und verklärt.
Es wird zudem suggeriert, dass die deutsche Bevölkerung eigentliches Opfer des Krieges war und bis heute darunter zu leiden habe. Durch weitere Demonstrationen, Gedenkmärsche oder historische Umzüge soll diese einseitige Geschichtsinterpretation in der Öffentlichkeit salonfähig gemacht werden. Erklärtes Ziel ist es, weite Teile der Bevölkerung emotional anzusprechen und damit auch für die politischen Ziele der rechtsextremen Szene zu öffnen. Für ein differenziertes Geschichtsbild ist hier kein Platz.
Dieses Beispiel zeigt, dass die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auch in der Gegenwart geführt werden muss. Viele Jugendliche interessieren sich für diese Zeit. Sie stellen Fragen und suchen nach Antworten. Der Geschichtswettbewerb war somit als Rahmen gedacht, in dem sich Jugendliche unvoreingenommen komplexen geschichtlichen Zusammenhängen stellen und nach Antworten suchen konnten.
Bei einer öffentlichen Präsentation im Koeppenhaus wurde der Wettbewerb interessierten Bürgerinnen und Bürgern der Stadt im Januar 2004 vorgestellt und zur Diskussion gestellt. Für die Umsetzung des Konzepts konnten dann zahlreiche Partner und Unterstützer gewonnen werden. Materielle und ideelle Unterstützung wurde von vielen Seiten geleistet. Ohne sie wäre die Durchführung des Wettbewerbs gar nicht denkbar gewesen. Zwar gab es in der Vergangenheit schon viele Geschichtswettbewerbe, aber selten war es einer Stadt gelungen, so viele gesellschaftliche Gruppen in die Umsetzung der Idee einzubinden. Einige Menschen hatten regelrecht darauf gewartet, dass dieses wenig bearbeitete Kapitel der Stadtgeschichte endlich öffentlich diskutiert wurde.
Um die Annäherung an solch ein umfassendes Thema zu erleichtern, wurden den Schülern und Betreuern der Projektgruppen zahlreiche Hilfen an die Hand gegeben. Im Vorfeld des Wettbewerbs wurden Fortbildungsveranstaltungen und Vorträge zu Themen wie Alltagsgeschichte sowie praktische Übungen zur Einführung in die Archivarbeit angeboten. Dennoch war es für die Gruppen nicht immer einfach, die Fülle des Materials zu bewältigen. Dies war jedoch nicht verwunderlich, da viele Schüler erstmals mit Originalquellen gearbeitet und damit völliges Neuland betreten haben. Umso erfreulicher war es, dass es trotz dieser Schwierigkeiten eine hohe Beteiligung am Wettbewerb gab.
Über 100 Jugendliche von schulischen und außerschulischen Gruppen erforschten während des Winterhalbjahres 2004/05 die Geschichte ihrer Stadt in der Zeit des Nationalsozialismus. Bei ihrer Suche stießen sie auf bisher unbekanntes Archivmaterial. Abstrakte historische Daten und Fakten wurden durch die Befragung von Zeitzeugen lebendig und greifbar. Einige diskutierten ihre Ergebnisse mit Studierenden und Wissenschaftlern der Universität. Das Forschen im lokalen Raum machte deutlich, dass sich Geschichte nicht nur in den weit entfernten Zentren der Macht abspielte, sondern auch vor der eigenen Haustür. Ebenso regte das Quellenmaterial zum Nachdenken über Normen und Werte an. Schließlich waren für uns heute selbstverständliche Menschenrechte durch die Nationalsozialisten außer Kraft gesetzt.
Nach der Recherchephase stellte sich für die Teilnehmer dann die Frage, wie die gesammelten Informationen aufbereitet und präsentiert werden konnten. Dabei wurden die unterschiedlichsten Medien gewählt. Unter den insgesamt 24 Gruppenarbeiten waren Filme, DVD, Wandzeitungen, Powerpointpräsentationen, Plakate, Broschüren und ein Theaterstück. Der Kreativität waren zwar keine Grenzen gesetzt, dennoch gab es wichtige Kriterien für die Bewertung der Projektergebnisse. Dazu zählten selbständiges Arbeiten, die Verwendung bisher unbekannter Quellen und die kritische Bewertung von Ereignissen auf Grundlage heutiger Erkenntnisse. Die vielen interessanten Ergebnisse machten es der Jury nicht gerade leicht, einen Sieger zu ermitteln.
Insgesamt konnte der Schülerwettbewerb nur ein kleiner Anstoß für die Aufarbeitung dieses wichtigen Abschnitts der Stadtgeschichte sein. Die eigentliche Arbeit muss nun folgen und es bleibt zu hoffen, dass die Ideen und Anregungen der Wettbewerbsteilnehmerinnen und -teilnehmer auf vielfältige Weise aufgegriffen werden. Denkbar wäre die Erstellung von pädagogischen Materialen, aber auch der Ausarbeitung eines historischen Stadtrundgangs oder die Schaffung von Gedenkorten für bisher vergessene Opfer des Nationalsozialismus.
 
Michael Thoß