geld oder leben
Likedeeler 16, Frühjahr 2005

Ein Nachmittag im Umsonst-Laden
Bericht der Umsonst- Laden Initiative Greifswald  
Der Laden zieht die unterschiedlichsten Leute an. Von Kunden können wir nicht sprechen, weil wir eben auch kein richtiger Laden sind. Wir verkaufen nicht, wir geben nur umsonst weg, möglichst gegen eine Spende für die Ladenmiete.
Jeden Öffnungstag fehlt es nicht an Merkwürdigkeiten. Wer ein paar Mal Ladendienst gemacht hat, dem wird schnell deutlich, wie heterogen Greifswalds Einwohnerschaft ist. Die hier erwähnten Personen stellen nur einen kleinen Ausschnitt dar.
 
 
Kurz nach der Ladeneröffnung Ende November 2004 kam zum Beispiel ein Mann in den recht vollen Laden, baute sich in der Raummitte auf, um erst einmal lautstark über die USA und ihre Außenpolitik zu schimpfen. Dann gab er uns Ladendienstlern seine persönliche Sachspende – zwei original verpackte Fertiggerichte. Freundlich meinten wir, es wäre nett gemeint von ihm, wir könnten das aber nicht annehmen, wir bekämen Probleme mit den Behörden, er solle es doch selbst essen. Für ihn waren unsere Äußerungen keine Argumente. Eindringlich versicherte er uns, er habe noch einige Fertiggerichte zu Hause, die genügten ihm, sein Vorrat sei groß genug… . Er ließ uns erst in Ruhe, als wir seine „Spende“ annahmen. Offensichtlich zufrieden ging er zum Bücherregal, fand dort ein antiquarisches Buch, eine Anleitung zum Aktzeichnen. Dort starrte er eine Zeit fasziniert hinein und verschwand kurze Zeit später aus dem Laden. Ein paar Tage später fanden auch die Fertiggerichte einen neuen Besitzer.
Beinahe jeden Öffnungstag hält auch eine junge Frau mit ihrem Rad vor dem Laden. Oft hat sie als eine Art Gürtel Geschenkschnüre in Taillenhöhe um ihre Jacke gewickelt. Zielstrebig geht sie dann in die Ecke mit dem Modeschmuck, wo sie lange Zeit mit Suchen verbringen kann. Gerne verwickelt sie die Ladendienstler und „Kunden“ in ein Gespräch. Als sie von unserer geplanten Lesung Ende April erfährt, hat sie spontan den Plan, im Rahmen der Lesung den Zuhören und Zuschauern ihre Ketten- und Schmucksteinsammlung näher zu bringen. Als sie wieder einmal nach Modeschmuck sucht, kommt unsere Vermieterin zur Tür herein. Ob wir denn auch Eier nähmen, fragt sie. „Eier?“, frage ich etwas verwirrt, „das geht nicht, wir dürfen keine Lebensmittel abgeben.“. Nein, nicht für die Leute, sondern ob wir privat Eier kaufen wollen – Eier von ihren Hühnern im Hof hinterm Haus. In dem Moment hält die Jüngere bei ihrer Modeschmucksuche inne. Wie teuer die Eier denn wären, mischt sie sich in den Verkaufsversuch der Älteren. Die Vermieterin nennt ihr den Preis, die Jüngere ist einverstanden, beide einigen sich recht schnell.
„Ich kann Ihnen die Eier auch vorbei bringen.“, sagt die Ältere. „Wo wohnen Sie denn?“
„Wiesenstraße.“
„Gut, dann komm ich heute Nachmittag mit den Eiern vorbei.“
Zwei Leute, zufrieden über ihr Geschäft, gehen auseinander. So wird der Umsonst-Laden auch zum Marktforum.
Unsere Vermieterin wohnt in dem geduckten Haus direkt überm Umsonst-Laden. Vor einiger Zeit renovierten wir einen zusätzlichen Ladenraum im hinteren Teil des Hauses. Ob das und das uns gehöre, ob wir das selbst noch bräuchten, fragte sie ständig, während wir den Müll und liegen gelassene Gegenstände des Vormieters rausräumten. Eine Art Wettlauf mit ihr begann. Sagten wir ihr nicht rechtzeitig genug Bescheid, dass wir dieses oder jenes noch selbst gut gebrauchen könnten, meinte sie: „Gut, dann kann das erst einmal weg!“. Weg war aber nicht ganz richtig, wie ein eingehender Blick in den Hinterhof bewies. Die nette, alte Vermieterin hält – wie wir - noch vieles für brauchbar, legt es vorerst zur Seite, sodass sich im Hinterhof schon ein komplexes Sammelsurium aus allem Möglichen gebildet hat. Vor das Fenster eines Ladenraums, das in den Innenhof weist, hat sie von außen eine Bauzaun gestellt, gelblich-orange Kunststoffsäcke zwischen die Zaunstäbe eingeflochten und das Ganze noch mit Tannenzweigen verziert. Da hätten die Leute einen schöneren Ausblick, meint sie.
Im Februar schneite es viel in Greifswald. Bevor wir manches Mal den Gehweg vorm Umsonst-Laden beräumen konnten, hatte unsere ca. 70-jährige Vermieterin ihren und auch gleich unseren Teil des Gehsteigs vom Schnee befreit.
„Du“, sprach mich vor mehreren Wochen ein älterer Mann im Laden an, „wir, meine Frau, meine Tochter und ich, wir wollen bei euch mitmachen. Ich bin Frührentner und habe sehr viel Zeit. Meine Frau und ich könnten den Laden jeden Tag aufmachen, von 9.00 Uhr an!“
Er kam regelmäßig in den Umsonst-Laden und wie bei den vorherigen Malen; wenn er mich wegen irgendwelcher Gegenstände ansprach, schlägt mir auch dieses Mal eine Alkoholfahne entgegen.
„Wir könnten den Laden den ganzen Tag aufmachen. Und wir machen auch Ordnung. Dann wird hier erst einmal aufgeräumt!“. Eindringlich sieht er mich an. Ich fühle mich nicht ganz wohl bei seinem letzten Satz, der wie ein drohend-wohlwollendes Versprechen klingt.
„Wir können uns auch gerne vorher bei uns zu Hause treffen. Damit ihr einen Eindruck von uns bekommt. Alles absolut sauber und ordentlich bei uns zu Hause!“
Er gibt mir noch seine Adresse, ich muss schreiben, seine rechte Hand ist taub, nicht mehr funktionsfähig. Wir würden das auf der nächsten Sitzung besprechen, meine ich vorsichtig zu ihm. Er solle einfach in zwei Wochen noch einmal vorbeikommen, dann könnten wir Näheres besprechen.
„Papa, ich will dann aber auch Ladendienst machen!“, ruft seine ca. 17-jährige Tochter noch dazwischen. Dann verlassen Vater, Mutter und Tochter den Laden. Das ist das letzte Mal, dass ich die drei im Laden antreffe. Den Vater sehe ich einige Zeit später noch einmal in der Innenstadt tagsüber mit ein paar anderen Leuten im Kreis stehen, mit Bier gut versorgt. Lauthals streitet sich der bunt gemischte Trupp gerade.
Was für Gemeinsamkeiten haben ein Teil der Leute, die in den Umsonst-Laden kommen? Eine Rentnerin, Spätaussiedlerin aus Westsibirien, bringt es auf den Punkt: „Ich komme hierher, weil ich so viel Zeit habe. So viel Zeit… . Was soll man den ganzen Tag über machen?“
Über Zeit im Überfluss können sich andere Kunden des Umsonst-Ladens nicht beschweren. Manche blockieren für kurze Zeit warnblinkend die Wolgaster Straße. Hektisch und voll beladen stürmen sie dann in den Laden: „Nehmen Sie auch ...?“
„Selbstverständlich. Solange es noch funktionstüchtig und sauber ist.“
Binnen einer Stunde türmen sich so im Laden volle Kisten und Kartons. Mit dem Ausräumen kommen wir kaum hinterher. Die besten Stücke bleiben nicht lange im Laden. Frei nach dem Spruch „Alles fließt“ kommen und verschwinden Gegenstände innerhalb kürzester Zeit. Da bleibt für die Ladendienstler kaum Freiraum, um sich noch einen Tee zu kochen. Dafür gibt es ältere Frauen. Die versorgen dann unterzuckerte Aktive mit Schokolade – wenn der Enkel was übrig gelassen hat. Dem Enkel wiederum kann die Oma was mitbringen aus dem Umsonst-Laden: Puzzle, Plüschtiere, eine Blockflöte oder ein Kinderbuch.
Auch junge Mütter trifft man häufig im Laden an - wegen des wechselnden Angebots an Babykleidung.
Nach den drei Stunden Öffnungszeit müssen die „Kunden“ Schritt für Schritt auf den drohenden Ladenschluss vorbereitet werden.
„Wir wollen dann gleich schließen... .“
„Ja, einen Moment noch. Ich kuck hier nur noch einmal kurz.“
Dieses Spiel kann sich noch ein paar Mal wiederholen. Dann geht auch der Letzte. Bis zum nächsten Mal, wenn sich wieder schon zehn Minuten vor Öffnung eine erwartungsvolle Menschentraube Wind und Wetter trotzend an der Tür gebildet hat.
Katrin Warnke & Jörg Ratayczak  

Umsonstläden: Die Idee
Schaufenster
   
Wie der Name schon sagt, sind hier alle Waren umsonst. Das heißt auch, ich selbst brauche nichts mitzubringen, um etwas mitnehmen zu dürfen. Natürlich basiert der Warenumschlag darauf, dass eben einige nur Dinge abgeben, oder das eine geben, das andere nehmen.
 
 
Umsonstläden wollen einen Raum für den Erwerb und die Weitergabe von Gegenständen schaffen, die jemand nicht mehr braucht, aber zum Wegwerfen schlicht zu schade sind. Ganz ohne Regeln kommt aber auch der Umsonstladen nicht aus. Üblich ist zum Beispiel die „Drei- Teile- pro- Tag Regel“, damit niemand die Initiative einseitig ausbeuten und als Schnäppchengrube missbrauchen kann.
Es versteht sich von selbst, dass man nur intakte und funktionstüchtige Geräte loswird. Man selbst würde ja auch keine vollelektrische Zitronenpresse ohne Stromkabel wollen.
Geld um etwas zu kaufen gibt es im Umsonstladen nicht.
Dennoch trägt sich eine solche Initiative über Spenden. Über kleine und größere Spenden werden die Ladenmiete und andere laufende Kosten bezahlt. Eine freiwillige Spende sollte für die Nutzung und den Erhalt des Projekts selbstverständlich sein, so ist es umso schöner, dass hier im Gegensatz zum kapitalistischen Warensystem, niemand wegen Armut ausgeschlossen ist, denn der zahlt hier einfach nix.
Die Mitarbeiter des Projekts arbeiten alle ausnahmslos ehrenamtlich, eben umsonst. Gerade deshalb ist es auch wichtig und schön, dass sich die Ehrenamtlichen, genau wie die Nutzer des Ladens, eine begrenzte Anzahl von Dingen für den Eigenbedarf aussuchen dürfen. Umsonstläden stehen allen Bürgern offen. Sie unterscheiden sich von Tauschringen dadurch, dass es keine Verpflichtung zum Tausch gibt und im Gegensatz zu Recyclingkaufhäusern muß für einzelne Gegenstände nichts bezahlt werden.
Bis auf Kleinmöbel hat ein Umsonstladen meist alles, was sich in einem Haushalt über die Jahre ansammelt: Kleidung, Modeschmuck, Haushaltsgeräte, Geschirr, Gläser u.ä…
Hinter der Ideologie dieser Initiativen steht das Konzept der Nachhaltigkeit und die praktische Kritik der Erwerbsarbeit. Es wundert nicht, dass vielfach Umsonstläden deshalb auch zum sozialen Aufwärmort werden.
Derzeit gibt es in Deutschland etwa 30 Umsonstläden. In Hamburg entstand 1999 der erste Norddeutschlands und mittlerweile gibt es sogar einen im Internet.
Karoline Dürselen