provinz
Likedeeler 14, Sommer 2004

Hilfe Herr Quartiersmanager!!!
Fleischervorstadt-Impressionen einer Stadtteilkonferenz...
 
War das nicht ein ausgesprochen schöner Apriltag an dem die 2. Stadtteilkonferenz der Fleischervorstadt Greifswalder Heimatgefühligkeiten wecken sollte? Offenbar war der gelbe Tag zu schön um Menschen, die anbei Anwohner hätten sein sollen, in die Arme unser aller Quartiermeister bzw. -manager zu treiben. Mit anderen knappen Worten gemalt: es kam kaum eine Sau! Bürgerbeteiligung ist ein ganz schön langer, wenn auch nützlich-verträumter und leerer Terminus geblieben. Woran es lag wurde kaum besprochen. Insgesamt rekelten sich, die Pressenotare nicht mitgerechnet, gerade mal 15 Menschen (den Quartiermanager inbegriffen) auf den frischen Stühlen im Kinosaal des Koeppenhauses. Eine Beteiligung die Mut machen sollte, und in Anbetracht des wunderbaren Wetters extrem entschuldbar sein könnte. Mäkler würden u.U. etwas von ungenügender Bewerbung faseln, aber das wären wie gesagt nur Mäkler...
 
 
 
Unser Quartiermanager, Herr Töns Föste, leitete, oder besser litt, diese 2. Konferenz. Nachdem es einem fähigen Mann aus dem schütteren Auditorium gelungen war die Technik in den Griff zu bekommen, informierte ein aufschlussreicher Film über die katastrophalen Zustände die das Viertel noch im Jahr 1992 ertragen musste. Ein wahrer Horrortrip gebleckter Bordsteinleisten, deren Eckzähne selbst gut trainierten Arbeitslosen zum Verhängnis hätten werden können. Daneben Putz-Nekrosen, Graffitti-Schmierereien, Papp-Trabanten, Autowracks, Passantengrau, Schimmel und Krater, Feuchte und gesenkte Blicke ziellos migrierender menschlicher Querschläger, die in diesem, sagen wir mal, Bosnien, ihre Notdurft umfriedeten... Harte Zeiten damals. Nach diesem Foltervideo, auf dem übrigens nicht nur Schandstellen sichtbar wurden, folgte zunächst heftiges Durchatmen. Die folgernde Durchzugs-Bilanz offenbarte einen Schimmer von Hoffnung, der hell wie frische Farbe, von Exklusiv-Fassaden blinkt. Viel von dem was weiter antrieb blieb unaufschliessbar. Dort redete man von Ordnung, Sauberkeit, Parkplatzparadiesen, wildem Skaten und Plakettenkultur. Von Bordsteinkatastern erfuhr man genau so wie von Hundetoiletten, Parkgebühren, Lärmimmissionen oder Fassadenbegrünung. Und plötzlich war sie zu sehen, die heimelige Vision untadeliger Planer. Die Morgana eines kleinen Stadtteils erhob sich. Eines Stettl`s gar, mit Fiddlern auf jedem früh dampfenden Dach, die so duftig wie neue Laiber Brot in die Morgensonne atmen. Rote Archen die kieloben Obdach den Frierenden, Frieden den Verfolgten, Heimat den Rastlosen bieten. Oh heilig-heile Welt des „Schönen Guten Morgen-lieber Herr Nachbar“ Sagens. Des sorglos frohen Einparkens. Der harmonisch- abfalllosen Hundespaziergänge. Der freundlich-verantwortungsbewussten Auf-Die Schulter-Tipper, die möglichst in lustigen Verschen auf harmlose Verfehlungen hinweisen. Tut mir Leid, die Sache mit dem Bonbon-Papier! Wirklich; ich will dafür den Gehweg harken. Alte, Schwache, Kranke, finden ein Traufen hier, wo jeder geht als würde er Kerzen vor sich her tragen. Die Muse lebt hier, gleichsam aus dem Schatten herrlich getuschter Fassaden-Pflanzen, treibt ein ruhig versonnener Friede und summt ganz still, fast bescheiden so für sich hin. Männer am Rost wenden Würste, Frauen trocknen erdige Hände vom Blumengießen sich an afrikanisch anmutigen Wollschürzen, Hund, Katze und Getier gähnt schön beigefügt und ist artige Zielstruktur liebender Hege. Ganze Hausgemeinschaften jäten sich durch Wochen. Versponnene Träumer lustwandeln durch Strassen an deren Namensschildern hilfreiche Hinweise zu Historie und Bedeutung dieses oder jenes Steines angebracht sind. Wie Bienen so emsig wird in Mittelstandshaushalten dieses klassenlosen Biotops an der Ausrichtung eines bunten, ausgelassenen, intergenerativen und umweltgerechten Stadtteilfestes getüftelt. In grünen Höfen voller alter Birnbäume wippen oder schaukeln ausgelassene Kinder. Nun, einige buddeln vielleicht, aber alle tun sie grundsätzlich Höfliches. Und die Jugend? Ach, Vater, ach Mutter, ihr braucht eure Ruhe. Kommt ich sing in Zimmerlautstärke ein noch Lied euch zur Gitarre. Und ein gutes Gläschen Rotwein würde nicht verachtet und an der Ecke bei Tante Emma gäbs biologisch dynamische Gutmenschenfood odern Schnack. So glänzt es aus den Augen seliger Seher. Bis die Idylle zerreisst und nackt, brutal und rissig sich die Realität menschlichen Seins enthüllt. Das nachtgesichtige Heer der Feinde dieses schönen Traums hat viele Namen. Im Prinzip könnte man die unter dem Begriff Skateboarder zusammenfassen. Skater und diese, wie sagt man; Studenten, Sprayer, Sozialfälle, Banden- oder Bandmitglieder, Hundehalter, Raucher, Lautsprecher, Jogger, Fahrradfahrer, querulente Streuner, Drückeberger, Madigmacher, Nachtfalter drohen und drängen, lärmen und leben, stören und staksen mitten durchs zitternde Herzchen jeder wohlwollenden Prognose!
Ein Leitbild wurde überdeutlich. Stadtkultur in oben geträumtem Sinne wird schwer bezahlbar bei Auftreten gezählter Komplikatoren. Der ideale Stettlbewohner arbeitet auf Jahre beim Amtsgericht und lebt in einer dieser netten Wohnschachteln, selbstverstehend Eigentum. Denn was führt stärker zu Identifikation als materieller Besitz? Und, so konnte berichtet werden, dass die eingeschlagene Richtung bereits stimmt. All jene Randgruppen, Schattenexistenzen, Gullikommunarden fangen an zu verstehen und ziehen fort aus unserer aufgeräumten Vision. Der Gestank bewohnter Schandstellen beginnt abzuwehen. Man muss sich doch nur mal die Burgstrasse 5 anschauen! Also wirklich! Bauarbeiten insbesondere im Bereich der Strassen, in Sonderheit der Bordsteine, werden weitergeführt. Hurra!!
Das Thema Skateranlage auf dem Nexöplatz, wurde aufgrund seiner Kontroversität und vor allem wegen der unabsehbaren gesundheitlichen Folgen für einen anschäumenden Homo cholericus, der seine Rechte aber wenigstens anwesend vertrat, relativ kurz und harmonisch abgebogen. Der arme Mann, und man darf den Ernst des Problems fett genug unterstreichen, beschrieb sich selbst als ein Opfer städtischer Jugendkultur. Seit Jahren befände er sich auf der Flucht. Der Lärm, Lärm, überall Lärm. Den Tinitus im Ohr, suchte und fand er ein endlich heimeliges Domizil. Nach etlichen Wohnungswechseln hatte er sich endlich am Nexöplatz niedergelassen, bereit der Stille und dem Fassadengrün einen Altar zu errichten. Und nun das! Das Phantom eines Skaterparks direkt vor seiner Nase! Ja ist denn die ganze Welt verrückt geworden!? Für ihn schon, den wahrhaft Vertriebenen. Protagonist einer totgeschwiegenen Minorität. Man möchte fragen wie viele Vertreibungen noch stattfinden müssen bis endlich mal etwas getan wird? Gehört die Jugend wirklich ins Stadtzentrum. Wäre es abwegig an intelligent und innovativ betriebene Jugendschutzzonen zu denken? Wohin soll der arbeitende Mensch denn fliehen um die Früchte seines Daseins zu genießen? Es fängt immer ganz harmlos an; aber dann kommen sie mit ihren Ghettoblastern...
Am Ende des leidigen Diskurses wurde deutlich, dass die Mehrheit der Anwesenden dem Skatepark-Projekt am Nexöplatz aufgeschlossen gegenüber steht. Kurz wurde auch über die Sprayerszene geredet. Ein besorgter Mensch frug nach, ob denn schon einmal einer dieser Schmutzfinken gefangen und verurteilt werden konnte. Man witterte wie sehr es diesem Mann nach einem Exampel gelüstete. Vielleicht wären medienwirksame Schauprozesse mit anschließenden Scheinexekutionen ein gangbarer Weg aus der Misere? Phantasieren wird man ja wohl noch dürfen?
Nachdem zur allgemeinen Beruhigung noch etwas über Tiefgaragen und Papierkörbe geredet worden war, wurde als schulterklopfendes Kontrastprogramm ein abschließendes Video aus Schülerhand vorgeführt. Fazit: Ja, die Welt der Gegenwart befindet sich offensichtlich auf dem Weg der Genesung. Man darf die Erfolge des Soziale Stadt-Programms hier nicht klein reden.
Mit fröhlichen Mottos und fernöstlich vergorenen Weisheiten, beendete der Quartiermanager diese 2.Stadteilkonferenz, die an Fruchtbarkeit und Produktivität kaum zu toppen sein wird. Das Abendbrot am Ende war jedenfalls lecker. Und die Welt die in kostenlos bunter Broschur lebt, kommt dem Traum vom idealen Stettl ganz unglaublich nahe. Gesättigt trollte man sich zur bezahlbar-heimischen Schandstelle in der Burgstrasse und fing an sich und möglichst alles andere sauber zu machen... Dieser Dreck, Schmutz, das Bordgestein...... Hilfe Herr Quartiersmanager!!!
Hagen Kocksch